Wissenschaftlerin forscht über Zeitempfinden
Irritation für die innere Uhr

Foto: Pexels.com/Acharaporn Kamornboonyarush

Was ist Zeit? Darüber haben sich große Philosophen wie Platon, Aristoteles, Augustinus oder Kant tiefe Gedanken gemacht. Die meisten Menschen kommen bei diesem Thema ins Grübeln, wenn mal wieder die Uhren von Winterzeit auf Sommerzeit - oder umgekehrt - gestellt werden. Wie an diesem Wochenende.

Von Christoph Arens 

Isabell Winkler, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Psychologie der Technischen Universität Chemnitz, ist tiefer in das Thema eingestiegen - und zwar nicht aus philosophischer, sondern aus psychologischer Perspektive. Dass die Zeitumstellung für körperliches Unbehagen bei manchen Bürgern sorgt, hat nach ihrer Erkenntnis mit der inneren Uhr jedes Menschen zu tun, die durch Tageslicht gesteuert wird. "Eine Stunde pro halbes Jahr macht da nicht viel aus. Wir können auch eine Zeitverschiebung um mehrere Stunden bei Interkontinentalflügen überstehen", sagt die Wissenschaftlerin. Schichtarbeiter, die einen ständig wechselnden Rhythmus aushalten müssten, seien dagegen viel schwerer belastet.

Winklers zentrale Themen sind das subjektive Zeitempfinden und die Faktoren, die es beeinflussen: Wenn wir warten, scheint die Zeit nicht zu vergehen. Ein schöner Urlaub aber geht rasend schnell zu Ende. Der Rückweg scheint kürzer als der Hinweg, und im Alter scheint die Zeit schneller zu vergehen als in jüngeren Jahren.

"Die neuropsychologische Forschung zeigt, dass es mehrere Bereiche im Gehirn gibt, die über Schleifensysteme vernetzt sind und die verantwortlich für das Zeitempfinden sind", erläutert Winkler. "Auch Tiere und kleine Kinder können bereits Unterschiede in der Dauer von Reizen wahrnehmen. Daher kann man davon ausgehen, dass die Wahrnehmung von Zeit angeboren ist. Was jedoch eine lange beziehungsweise kurze Dauer bedeutet, muss gelernt werden, wie Zählen oder die Uhr lesen."

Es gibt Faktoren, die die Zeitwahrnehmung beeinflussen und damit auch verfälschen können. Beispielsweise Ablenkung, Emotionen oder körperliche Anstrengung. "Lenkt man sich ab - etwa durch das Internet, Videos schauen oder Musik hören - scheint die Zeit schneller zu vergehen", erläutert die Wissenschaftlerin.

Schwierig wird es bei der Frage eines unterschiedlichen Zeitempfindens im Alter: Oft wird behauptet, dass die Zeit im zunehmenden Alter schneller vergeht. Zeitforscherin Winkler sieht allerdings einen großen Unterschied, ob das Vergehen der Zeit im Rückblick auf vergangene Lebensperioden beurteilt wird, oder ob es um das aktuelle Zeitempfinden geht.

Ältere Menschen greifen im Laufe des Lebens zunehmend auf Handlungsroutinen zurück; die Lebensereignisse, die sie zum ersten Mal erleben, werden seltener, erläutert die Wissenschaftlerin. "Je mehr unterschiedliche Ereignisse erinnert werden, desto länger wird ein Zeitabschnitt geschätzt." Zunehmende Routinen führen zu weniger intensiv erlebten Ereignissen oder Handlungen. Daher stelle sich rückblickend der Eindruck ein, die Zeit müsse schneller vergangen sein.

Kinder etwa erleben natürlicherweise mehr Dinge zum ersten Mal und nehmen diese dadurch vermutlich intensiver und detailreicher wahr. Deshalb erleben sie die Zeit als länger dauernd. Stress und Zeitdruck im Erwachsenenalter bewirkten zusätzlich, dass Handlungen und Ereignisse weniger bewusst, detailreich und damit weniger achtsam erlebt werden können, erläutert Winkler: "Rückblickend werden dann meist weniger Elemente des Erlebten erinnert und die Zeitspanne als kürzer wahrgenommen."

Winkler vermutet, dass sich die Zeitwahrnehmung durch die Digitalisierung verändert. "Es gibt durch die Digitalisierung potenziell mehr Ablenkung und im Gegenzug kaum noch Wartezeiten, die zur Entschleunigung und zur Achtsamkeit zwingen." Die Zeit könne daher durchaus als schneller vergehend erlebt werden.

Es gibt aber auch einen Trend zum Gegensteuern: zum Beispiel in Form von Achtsamkeitskursen oder Meditation. Um das "Beste" aus seiner Zeit rauszuholen, rät Winkler, seine Zeit achtsamer zu verbringen. "Wann immer es der Alltag zulässt, könnte man Routinen durchbrechen und sich positive, bleibende Erinnerungen schaffen". Hilfreich sei vor allem, bewusst neue Dinge zum ersten Mal auszuprobieren.

(kna)

Autor:

Online-Redaktion

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