Tourismus
Zum Frühstück über die Alpen

Ankunft eines Nachtzugs aus Stuttgart am Hauptbahnhof von Zagreb/Kroatien 
 | Foto: epd-bild/Karsten Packeiser
  • Ankunft eines Nachtzugs aus Stuttgart am Hauptbahnhof von Zagreb/Kroatien
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Eigentlich waren sie schon abgeschrieben. Aber seit einigen Jahren erleben Nachtzüge vielerorts in Europa eine Renaissance. Die Nachfrage nach umweltfreundlichen Reisen im Schlaf ist längst so groß, dass Züge oft Wochen im Voraus ausgebucht sind.

Von Karsten Packeiser (epd)

Jeden Abend um 20:29 Uhr setzt sich am Stuttgarter Hauptbahnhof ein ungewöhnlicher Zug in Bewegung - der «EuroNight 40237». Die Waggons an der Spitze fahren nach Venedig, dahinter folgen Schlaf- und Liegewagen mit dem Ziel Kroatien. Während der Nachtexpress langsam den Anstieg hinauf auf die Schwäbische Alb in Angriff nimmt, erklärt der freundliche kroatische Liegewagenschaffner den Reisenden, wie sie ihre Betten aufklappen können. Spätestens an der Donaubrücke in Ulm schlafen die ersten friedlich ein, manche werden mitten in der Nacht kurz wieder wach, als in Salzburg mit einem kleinen Ruck der hinterste Zugteil mit den Waggons nach Budapest abgehängt wird.

Die Journalistin und Reisebuchautorin Veronika Wengert kennt die Route seit ihrer Kindheit von regelmäßigen Besuchen bei der kroatischen Verwandtschaft. Sie ist Co-Autorin eines Buches über Europas schönste Nachtzugstrecken. Die Möglichkeit, in Deutschland in den Zug ein- und direkt am Mittelmeer wieder auszusteigen, fasziniert sie persönlich am meisten an dieser Form des Reisens. Urlaubern, die noch nie im Nachtzug unterwegs waren, rät sie: «Vielleicht ist es eine gute Idee, erst einmal eine kleinere Strecke auszuprobieren, innerdeutsch oder nach Wien.»

Es ist nicht lange her, dass Nachtzüge und ein Netz aus Kurswagen alle Länder Europas von Lissabon bis Moskau und von Stockholm bis Istanbul miteinander verbanden. Ihnen haftete aber zunehmend das Image eines altmodischen, aus der Zeit gefallenen Verkehrsmittels an. Mit jedem großen Fahrplanwechsel verschwanden traditionsreiche Verbindungen auf Nimmerwiedersehen.

2016 nahm die Deutsche Bahn ihre letzten, in die Jahre gekommenen Schlaf- und Liegewagen außer Betrieb. Doch seit einiger Zeit dreht sich der Trend: Vor dem Hintergrund der Debatte um Klimakrise und Verkehrswende erscheint die Eisenbahn auch auf weiteren Strecken wieder als gute Alternative zum Flugzeug.

«Es stimmt, dass Nachtzüge in den letzten Jahren wieder beliebter geworden sind, geradezu hip», sagt Sebastian Wilken, Nachtzug-Enthusiast und Betreiber des Eisenbahn-Newsletters «Zugpost». Es herrsche aber ein riesiger Mangel an Schlaf- und Liegewagen: «Nachtzüge in Mitteleuropa sind daher aktuell Opfer ihres eigenen Erfolgs, auf Monate im Voraus ausgebucht und sehr teuer. Das führt vermehrt zu Frust unter den Reisenden.»

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) setzt sich seit Jahren für ein europaweites Nachtzugnetz zwischen allen großen Metropolen als Alternative zum Flugverkehr ein - so, wie es bis zum Aufkommen der Billigflieger existierte. Doch noch gebe es keinen fairen Wettbewerb zwischen Flugzeug und Nachtzug, beklagt Alexander Kaas Elias, beim VCD zuständig für Bahn und ÖPNV. «Internationale Nachtzüge sollten wie die Luftfahrt von der Mehrwertsteuer befreit werden», fordert er. Außerdem sei es in vielen Fällen noch immer unmöglich, durchgehende Tickets für Auslandsfahrten zu kaufen.

Dass es überhaupt noch Nachtzugverkehr in Deutschland gibt, ist vor allem den Österreichischen Bundesbahnen ÖBB zu verdanken. Das Unternehmen investierte nicht nur fortlaufend in den Nachtzugverkehr, sondern übernahm auch nach 2016 eine Reihe von Strecken von der Deutschen Bahn. Inzwischen scheint die DB zu ahnen, dass der Verzicht auf eigene Nachtzüge ihrem Image nicht förderlich war. «Der Nachtzug ist uns wichtig und wir freuen uns über die aktuelle Renaissance der Nachtzugs», teilt die DB-Unternehmenszentrale mit. Man sei auch nie aus dem Geschäft ausgestiegen, habe lediglich «das Geschäftsmodell geändert» und biete Schlaf- und Liegewagen nun «gemeinsam mit unseren europäischen Partnerbahnen» an.

Die Österreicher sind nicht die einzigen, die weiter an die Zukunft der Nachtzüge glauben. In Ländern wie Russland und der Ukraine sind Fahrten im Schlaf- oder Liegewagen wegen der großen Entfernungen immer eine selbstverständliche Form des Reisens geblieben. Und auch von Finnland, der Wahlheimat von Sebastian Wilken, könnten sich Verkehrsplaner einiges abschauen, findet der Wissenschaftler - vor allem wegen der hohen Kapazitäten: So verkehrten jeden Samstag zwischen dem nordfinnischen Oulu und der Hauptstadt Helsinki drei Nachtzüge mit insgesamt 25 Schlafwagen und 935 Betten, berichtet er: «Zwischen Wien und Berlin ist es gerade einmal ein Schlafwagen mit 36 Betten plus ein Liegewagen.» So gebe es in Finnland auch kurzfristig freie Plätze zu günstigen Preisen.

Mit einer planmäßigen Fahrtzeit von 14 Stunden haben die Reisenden im Nachtzug von Stuttgart nach Zagreb reichlich Zeit zum Ausschlafen. Als der Liegewagenschaffner morgens einen Instant-Kaffee mit Schokoladen-Croissant ins Abteil bringt, haben die Passagiere längst den Karawanken-Tunnel passiert und Slowenien erreicht. Buchautorin Wengert kennt das größte Problem aller Reisenden an Bord - eigentlich ist die landschaftlich einmalige Strecke quer durch die Alpen zu schön zum Schlafen: «Am besten nimmt man für eine Fahrt den Nachtzug, und für die andere eine Tagesverbindung.»

Autor:

Katja Schmidtke

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