Zwischen Tier und Gott
Vom Drama des Menschseins

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Der Mensch ist, wie schon die antiken Philosophen erkannten, ein Wesen, das sich in der Mitte zwischen dem Sumpf animalischen Dranges und der Welt hochgeistiger Ideen wiederfindet. Nun - diese mittlere Position ist kein statischer Ort, sondern ein Spannungsfeld. Der Mensch, so schrieb Blaise Pascal, ist „weder Engel noch Tier; und wehe dem, der aus ihm einen Engel machen will“ (Pensées 358). Dieses „Wehe“ bedeutet nicht nur Scheitern, sondern Verirrung, eine fatale Selbstverkennung des Wesens, das sich selbst als homo viator, als Wanderer auf dem Weg, nur im Durchgang versteht.
1. Das Drama des Menschseins
Der Mensch spürt die Animalität in sich wie ein dumpfes, aber unablässig wirkendes Echo aus Jahrmillionen der Evolution. Hunger, Sexualität, Angst – diese Urtriebe sind wie die Schwerkraft seiner Existenz. Zugleich trägt er eine unerklärliche Sehnsucht nach Transzendenz in sich, einen Wunsch, „hinaufzusteigen“, wie Augustinus sagt: „Fecisti nos ad te, Domine, et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.“ – „Du hast uns auf Dich hin geschaffen, Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir“ (Confessiones I,1). Diese Sehnsucht, die der Moderne oft als Illusion gilt, ist für den Glaubenden ein Zeichen der Imago Dei, der Spur des Schöpfers in der Kreatur.
Doch das ganze Drama liegt in der Spaltung: Der Mensch kann nicht Tier bleiben, ohne sein Menschsein zu verraten, und er kann nicht Gott werden, ohne in Hybris zu verfallen - und schließlich gerade an dieser Hybris zu zerbrechen. Er lebt im Dazwischen, in einer geistigen Schwingung zwischen Verlangen und Hoffnung, zwischen Sünde und Gnade, wie es die Theologie mit zwei ihrer wichtigsten Fachbegriffe hat beschreiben wollen.
2. Die Matrix des Glaubens
Wie kann ein Wesen, das so zerbrechlich ist, die Unwägbarkeiten seines Lebens überhaupt einigermaßen ertragen? Die Geschichte zeigt: Es braucht Formen, die mehr sind als individuelle Strategien. Es braucht eine „Matrix“ – eine geistige Struktur, die die Mühe des jeweils Einzelnen übersteigt. Im Abendland ist diese Matrix untrennbar mit der Christusgeschichte verwoben.
Das Evangelium - also die Christusgeschichte - bietet keine trockene Theorie, sondern ein blutiges Drama, das am Ende - aber wirklich erst dort -gut ausgeht. Ein Drama, das Schöpfung, Fall und Erlösung in einer einzigen Heilsgeschichte verbindet. Es ist eine Geschichte, die nicht nur erzählt, sondern gelebt und zur strukturellen Nachahmung, ja - zu Wiederholung in Ähnlichkeit anempfohlen und damit synchron verstetigt wird: In der Liturgie, in den Festen, in der Kunst, in der Musik. „Christus ist derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8). Mit dieser Art Kontinuität wird der Mensch in eine Geschichte hineingenommen, die nicht jedes Mal neu verhandelt werden muss, sondern seit zwei Jahrtausenden den roten Faden göttlichen Wirkens sichtbar macht.
Wie Joseph Ratzinger in Einführung in das Christentum (S.120-123) schreibt, ist der Glaube kein blindes Für-wahr-Halten, sondern das Vertrauen in ein „Du“, das größer ist als die eigene Angst. Glauben heißt, sich dem anvertrauen, was nicht aus mir selbst kommt, sondern mich trägt.
3. Der Glaube als Lebenslauf
Der Glaube entwirft einen „Lebenslauf“, der nicht in der Beliebigkeit endet, sondern im Zuspruch der Gnade. Der Mensch, der in Christus seine Existenz liest, lebt nicht im Treibsand zufälliger Kontingenz, sondern im festen Grund einer sinnvollen sich so oder so im Guten erfüllenden Verheißung. „Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht“ (Röm 8,28).
Das Kreuz Christi ist der Knotenpunkt dieser Verheißung. Es zeigt das Drama des Menschseins – den Abgrund der Schuld und die Höhe der göttlichen Liebe. In diesem Kreuz, das man gern als „Brennpunkt der Geschichte“ bezeichnen könnte, lernt der Mensch, dass sein Leben nicht ziellos pendelt zwischen niederem Trieb und höherer Idee, sondern aufgehoben ist im Angeblicktwerden durch Gottes Gegenwart.
4. Eine Skizze, die nicht verloren geht
Die Kirche ist nicht ein bloßer Träger von Traditionen, sondern die memoria Christi, das Gedächtnis der Geschichte Gottes mit den Menschen. Ihre Verkündigung, ihre Bilder, ihre Musik sind nicht nostalgische Ornamente, sondern ein „Rahmen“, in dem das eigene Leben Sinn erhält. Wie es im Psalm heißt: „Deine Gnade reicht, so weit der Himmel ist, und deine Treue, so weit die Wolken gehen“ (Ps 36,6).
Am Ende, so die christliche Hoffnung, wird der Mensch nicht gefragt, ob er alle Strategien und Taktiken des Lebens beherrscht hat. Er wird einzig daran gemessen, ob er sich in das Verwandlungsdrama der Liebe Gottes hineinnehmen ließ. „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25). Diese Zusage macht das irdische Leben zu einem Vorspiel für etwas, von dem wir nichts Genaueres wissen als - dass es gut werden wird. Es gleicht einer Skizze, die Gott selbst vollenden wird, unter Beteiligung unseres freien Willens …
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.