Gesundheit
Starker Anstieg der Zahl der Totgeburten

Rose auf einem Gräberfeld für Sternenkinder auf dem Braunschweiger Hauptfriedhof 
 | Foto: epd-bild/Peter Sierigk
  • Rose auf einem Gräberfeld für Sternenkinder auf dem Braunschweiger Hauptfriedhof
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Es sind erschreckende Zahlen, hinter denen viel Leid steckt: Seit 2007 steigt die Zahl der Totgeburten in Deutschland stetig an. Im Jahr 2021, dem zweiten Corona-Jahr, war der Anstieg besonders stark. Experten sind um Erklärungen bemüht. 

Von Pat Christ (epd)

Im Jahr 2007 wurden in Deutschland 3,5 Kinder je 1.000 Geburten tot geboren. 2021 waren es mit 4,3 Totgeburten je 1.000 Geburten deutlich mehr. Bis ins Jahr 2020 zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamts einen leichten Anstieg. 2021 kam es hingegen zu einem Sprung im Vergleich zu den beiden Vorjahren. Als «Totgeburt» gilt ein Kind, wenn es bei der Entbindung mindestens 500 Gramm wog oder die 24. Schwangerschaftswoche erreicht war.

Im Jahr 2021 kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 3.420 Kinder tot zur Welt. Das war im Vergleich zu 2019, als 3.180 Kinder tot geboren wurden, eine Zunahme von 7,5 Prozent.

Welche Ursachen hat der besorgniserregende Anstieg der Todeszahlen? Antworten sind schwer zu finden. Nicht einmal der Berufsverband der Frauenärzte kann Erklärungsansätze beisteuern: «Uns stehen keine anderen Daten zur Verfügung als die Erhebungen durch das Statistische Bundesamt», sagte Pressereferentin Anna Eichner dem Evangelischen Pressedienst (epd). Erhellender ist eine Nachfrage bei der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG). DGPFG-Präsident Wolf Lütje nennt «mögliche Ursachen».

Ein Grund könne die zunehmende Anzahl an künstlichen Befruchtungen sein, sagt der ehemalige Chefarzt der Frauenklinik am Evangelischen Amalie Sieveking Krankenhaus in Hamburg. Außerdem habe es während der Corona-Krise, die in Deutschland im März 2020 begann, mehr Kaiserschnitte gegeben. Diese vergrößern laut dem Gynäkologen das Risiko einer Totgeburt. Lütje verweist zudem auf die 2022 von der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin veröffentlichte Cronos-Registerstudie zu Covid-19 in der Schwangerschaft: Danach war die Rate an Totgeburten von Frauen, die mit dem Coronavirus infiziert waren, erhöht.

Kritisch sieht es der Frauenarzt und Psychotherapeut, dass es viele Schwangere verlernt hätten, in sich hineinzuhören und die Bewegungen ihres Kindes wahrzunehmen. Wer kein Gespür für das Kind im Leib habe, bekomme Auffälligkeiten oft zu spät mit und suche dann entsprechend spät Hilfe auf. Das könne für das ungeborene Kind im schlimmsten Fall tödlich enden.

Beunruhigende Risikosignale entdeckten Christof Kuhbandner, Psychologie-Professor in Regensburg, und Matthias Reitzner, Mathematik-Professor in Osnabrück. Sie setzen bei ihren Analysen - anders als das Statistische Bundesamt - die Zahl der Totgeburten eines Quartals ins Verhältnis zu den Geburten des nächsten Quartals. Mit dieser Methode entdeckten sie einen extremen Anstieg der Totgeburten im vierten Quartal 2021 um 19,4 Prozent. Auch 2022, heißt es in ihrer Studie, bleibe die Totgeburtenrate «ungewöhnlich hoch».
Veröffentlicht wurde die Studie der beiden Forscher im Mai in der medizinischen Fachzeitschrift «Cureus».

Kuhbandner und Reitzner halten es für geboten, mögliche Zusammenhänge zwischen Totgeburten sowie Corona-Impfungen und -Infektionen näher zu untersuchen. Dies zu unterlassen, wäre für Reitzner ein «politischer Skandal».

Bemerkenswert findet Lütje, dass es Anfang 2022 zu einem deutlichen Geburtenrückgang gekommen ist - ziemlich genau neun Monate nach Start der Corona-Impfkampagne. Auch das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung spricht von einem «Absturz» der Geburtenziffer. Frauen hätten beim Start der Impfkampagne im Frühjahr 2021 ihren Kinderwunsch zunächst zurückgestellt, erklärt das Institut.
Forschungsdirektor Martin Bujard findet es «plausibel, dass sich manche Frauen erst impfen lassen wollten, bevor sie schwanger werden». Auch im ersten Quartal 2023 blieb die Geburtenzahl im Vergleich zum Vorjahresquartal auf niedrigem Niveau, allerdings schwächte sich der Rückgang ab.

Autor:

Katja Schmidtke

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