Predigttext
Niemals zu alt

Werner Biskupski, Pfarrer i. R., Leipzig | Foto: privat
  • Werner Biskupski, Pfarrer i. R., Leipzig
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Seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein.
1. Petrus 2, Vers 2a

Mich hat immer fasziniert, wie unvoreingenommen Neugeborene, wenn sie denn Gesichter deutlicher wahrnehmen können, mich anblicken. Man spürt, dass die gerade ins Leben Getretenen noch völlig unverdorben, nicht von Angst, von Misstrauen, von Berechnung geprägt worden sind. Sie sind vertrauensvoll und völlig frei in ihrer Wahrnehmung – eigentlich so, wie man es sich immer wieder selbst ersehnt, angeschaut zu werden. Dabei sind sie doch in höchstem Maße abhängig von Ernährung, Schutz und Zuwendung. Es ist kein Zweifel daran möglich, dass dies ein neues Leben ist mit zugleich paradiesischem Erleben und, das wissen wir auch, schon vorhersehbaren herben Erfahrungen der Begrenzung.
Beides haben die Adressaten des 1. Petrusbriefes erlebt: Die freiheitliche Begeisterung der ersten Stunde als getaufte Christen und dann die baldige Ernüchterung. Deshalb hat der Verfasser sicher dieses Bild für die Erinnerung an ihre Taufe gewählt. Er sorgt sich, dass die inzwischen unter Verfolgung Leidenden ihre Glaubenszuversicht verlieren könnten. Es wäre merkwürdig, wenn nicht auch unter uns Glaubenden diese Not des Zweifels und der geistlichen Verzagtheit bekannt wäre. Verursacht zwar nicht durch Verfolgung, entstanden aber unter den Eindrücken der egozentrischen Entwicklung in unserer Welt, wie auch durch persönliche Krisen und innere Nöte. Wie kann ich darüber meinen Halt bewahren oder wieder gewinnen?
Der Schreiber unseres Briefes empfiehlt – im Bilde gesprochen – „Begierde nach Muttermilch“. Wir wissen, dass man ein Gefühl und erst recht eine Begierde nicht befehlen kann. Und doch gibt es die Möglichkeit, mich an meine Taufe zu erinnern.
In meiner Zeit als Krankenhausseelsorger habe ich einmal einen Patienten, der das Gespräch zwischen seinem Bettnachbarn und mir aufmerksam verfolgt hatte, angesprochen. Er teilte mir mit, dass er vor vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten sei. Ich meinte, da er getauft sei, gelte „einmal Christ – immer Christ“. Nach einer Stille sagte er traurig: „Dafür bin ich zu alt.“ Dem kann man nur entgegnen: Zu keiner Zeit bin ich zu alt dafür, mich an den Neuanfang und das selige Versprechen erinnern zu lassen, dass Gott mich in Liebe trägt.
Werner Biskupski

Autor:

Online-Redaktion

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