100 Jahre Jesuiten-Hochschule
Kaderschmiede der rationalen Kritik

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«Denken lernen» lautet das Motto zum 100. Geburtstag: In München steht die einzige Hochschule im deutschsprachigen Raum, die sich nur der Philosophie widmet. Neben Aristoteles und Kant stehen bei den Jesuiten auch Klima und KI auf dem Lehrplan.
Von Susanne Schröder
Wenn Charlotte Forst von ihrem Studium an der Hochschule für Philosophie in München erzählt, klingt das wie ein Gegenprogramm zur Wisch-und-Weg-Welt der sozialen Medien. «Wir lernen hier, Texte genau zu lesen, komplizierte Schritte nachzuvollziehen, am Ball zu bleiben, Argumente kritisch zu hinterfragen», zählt die 20-Jährige auf. Nach dem Abi hat sie ein Orientierungsjahr an der vom Jesuitenorden getragenen Hochschule absolviert - und ist hängengeblieben. Familiär sei die Atmosphäre an der kleinen Hochschule mit ihren gerade mal 500 Studierenden, der Draht zu den Professoren kurz, Hilfe bei Problemen immer in Sicht. «Ich fühle mich wohl und bin gerne hier», sagt Forst, die außer Philosophie auch noch Jura studiert.
In diesem Jahr feiert die Hochschule 100. Geburtstag, mit einem Festakt am 10. Oktober. Bei ihrer Gründung im Jahr 1925 trug sie den Namen Berchmanskolleg - benannt nach dem belgischen Jesuiten und Schutzpatron der Jugend Jan Berchmans - und hatte ihren Sitz in Pullach vor den Toren Münchens. Erst 1917 war das «Jesuitengesetz» des protestantischen Reichskanzlers Otto von Bismarck, das der papsttreuen «Societas Jesu» ab 1872 jegliche Tätigkeit auf deutschem Boden verboten hatte, außer Kraft gesetzt worden. Nun verlor der Orden keine Zeit mehr: Erklärtes Ziel des neuen Kollegs war, «wissenschaftlich hervorragende Leute auszubilden und auszusenden», schrieb der damalige Provinzial Augustin Bea SJ.
Die Liste prominenter Absolventen der Hochschule, die 1971 ins Münchner Univiertel umzog und sich für weltliche Studierende öffnete, ist lang: Zu den bekanntesten Schülern zählen der 1945 von den Nationalsozialisten ermordete Jesuitenpater Alfred Delp, der Reformer und Theologieprofessor Karl Rahner, aber auch Klaus Mertes, der als Leiter des Canisius-Kollegs Berlin 2010 die Aufdeckung der Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche in Gang setzte. Keine Jesuiten, aber Hochschulabsolventen sind auch Otmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Aufsichtsrätin Nathalie von Siemens, «Süddeutsche Zeitung»-Chefredakteur Wolfgang Krach sowie Stefan Leifert, Redaktionsleiter des ZDF-«heute journals».
Der interdisziplinäre Austausch sei mit den Jahren immer wichtiger geworden, sagt Hochschulpräsident Johannes Wallacher, mit dem seit 2011 erstmals kein Jesuit mehr an der Spitze der Hochschule steht:
«Ein Drittel unserer Studierenden hat ein anderes Hauptfach: Medizin, Ingenieurswissenschaften, Jura, Informatik.» Kooperiert wird beispielsweise mit der Ludwig-Maximilians-Universität und der Technischen Universität München.
Philosophische Sichtweisen seien heute mit Blick auf Klimafragen oder Künstliche Intelligenz (KI) aktueller denn je: Es gehe um die Frage nach dem Menschen, nach einem gerechten Zusammenleben in der Gesellschaft, nach der Hoffnung in einer Zeit der großen Verunsicherung, zählt Wirtschaftsethiker Wallacher auf.
Ziel der jesuitischen Bildungstradition ist dabei, die Urteilskraft von Menschen zu stärken und sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Diesem Ideal seien alle - mittlerweile vorwiegend weltlichen - Lehrkräfte an den über 200 jesuitischen Hochschulen weltweit verpflichtet. Die Münchner Einrichtung ist dabei die einzige Hochschule im deutschsprachigen Raum, die sich ausschließlich der Philosophie widmet. Für Wallacher geht es um eine Schlüsselkompetenz: «Kritisches Denken ist jetzt und in Zukunft wichtiger denn je», ist der Hochschulpräsident überzeugt.
Es ist jedenfalls das, was auch Studentin Charlotte Forst schätzt: «Man ist hier an der Hochschule, ganz gleich bei welchem Thema, nie weit von einer Debatte entfernt.» Das sei auch manchmal anstrengend. Doch die Regeln einer guten Diskussion beachteten alle, erklärt die Vertreterin der Studierendenschaft: Zugestehen, dass jeder eine eigene Meinung hat. Zuhören, wie diese lautet. Versuchen, das Gegenüber mit guten Argumenten auf die eigene Seite zu ziehen. Und in der Lage sein, die Argumente des anderen anzunehmen, wenn sie besser sind. «Man muss auch mal zugeben können, dass die eigene Position Schrott war», sagt Forst und lacht. Eine Niederlage ist das für sie nicht: «Mein persönlicher Wert ist nicht an den Sieg in einer Debatte geknüpft - wer wäre ich denn, wenn ich immer recht hätte?»
Für die junge Frau hat Philosophie Sucht-Faktor: Wer sich einmal systematisch den Fragen nach der Existenz Gott oder dem Wesen von Gerechtigkeit gestellt habe, sagt sie, «der kommt davon nicht mehr los».
(epd)
Autor:Online-Redaktion |
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