Frauentag
"Die guten Verträge schustern sich die Männer gegenseitig zu"

Jasmin Miriam Andriani, Rabbinerin der Liberalen Jüdischen Gemeinde Göttingen | Foto: kna-bild
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Jasmin Andriani kann sich noch genau an den Moment erinnern, in dem es ihr zum ersten Mal in den Sinn kam, Rabbinerin zu werden. Vor gut 15 Jahren war das, als Jura-Studentin mit Mitte 20 hörte sie erstmals vom Potsdamer Abraham Geiger Kolleg. Ein Freund berichtete von der damals neuen Ausbildungsstätte für Rabbiner. "Willst du nicht Rabbiner werden?", fragte sie ihren jetzigen Mann begeistert - der aber keine Lust bekundete.

Von Nina Schmedding (kna)

"Werde du doch Rabbinerin", konterte er, und alle drei lachten über diesen Vorschlag. Andriani erinnert sich noch ganz genau, wie sie danach ins Badezimmer ging und in den Spiegel schaute. "Rabbinerin werden - warum eigentlich nicht", dachte sie. Vor drei Jahren wurde sie ordiniert, seitdem leitet die 39-Jährige die liberale jüdische Gemeinde in Göttingen.

Ihr Beruf ist ungewöhnlich, immer noch: in Deutschland, in Frankreich, besonders in Israel. Eine israelische Freundin etwa hatte sie komplett missverstanden, als sie ihr damals von ihrem Berufsziel berichtete. 'Ah, Du wirst Rebezzin', habe sie gesagt, erzählt Andriani mit einem leichten Lächeln. Rebezzin - die Frau eines Rabbi.

Aber Andriani will nicht die Frau eines Rabbiners sein. Sie will selbst die Thora auslegen, auf der Synagogenkanzel stehen, Paare vermählen und Verstorbene zu Grabe tragen.

Dabei tritt sie in große Fußstapfen: Die Berlinerin Regina Jonas, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde, war die erste Rabbinerin weltweit. Ganz in der Nähe von Andrianis Wohnung in Berlin arbeitete Jonas vor rund 80 Jahren in einem jüdischen Altenheim als Rabbinerin. "Das hat für mich schon einen Gänsehautfaktor", sagt Andriani.

Das liberale Judentum hat seinen Ursprung in Deutschland, wurde hier ausgelöscht durch die Nationalsozialisten und den Zweiten Weltkrieg. 39 Rabbiner gehören in Deutschland zur Zeit der liberal geprägten Allgemeinen Rabbinerkonferenz an; 11 davon sind Frauen. Etwa 1.000 Rabbinerinnen gibt es weltweit, die meisten in Nordamerika.

Andrianis Muttersprache ist Deutsch, Hebräisch musste sie lernen - im jüdischen Kindergarten, in der jüdischen Grundschule. Ihre Eltern, obwohl selbst nicht gläubig, fühlten sich der jüdischen Tradition verpflichtet und wollten ihrer Tochter außerdem die Möglichkeit geben, sich in beiden Welten - Deutschland und Israel - zu Hause zu fühlen.

"Für mich klang das total meschugge."

Durch den Besuch der orthodox geprägten Institutionen war ihr Bild vom Judentum zunächst traditionell: "Ich bin so aufgewachsen, dass nur Männer zum Gottesdienst beitragen und die Frauen abseits sitzen und beobachten." Hinterfragt hat sie das nicht. "Das war ganz normal." Als sie mit 15 Jahren erstmals von einer Rabbinerin hörte, fand sie das seltsam. "Für mich klang das total meschugge."

Nicht männlich, nicht bärtig, nicht alt: Dass sie selbst einmal die Kippa auf dem dunkelblonden Haar und einen Gebetsschal tragen, dass sie aus der Thora lesen und predigen würde, hätte Andriani als Jugendliche nicht gedacht.

Eine unerhörte Angelegenheit ist der Beruf der Rabbinerin für manche traditionelle Juden auch deshalb, weil "die Stimme der Frau" im Talmud als "Blöße" bezeichnet wird, als Sexualattribut. "Wegen dieser Verführungskraft soll die Frau besser schweigen", erklärt Andriani - ob als Kantorin oder Rabbinerin. Sie ist säkular aufgewachsen, zog mit anderthalb Jahren mit ihren Eltern von Tel Aviv nach Berlin. Ihre Großeltern waren in den 1930er Jahren aus Deutschland und Österreich nach Palästina geflohen.

Auch wenn es nicht unbedingt einen Unterschied macht, ob eine Frau oder ein Mann eine Gemeinde leitet: Soziales Engagement sei etwas, was sie besonders bei den Rabbinerinnen finde, betont Andriani. Und: "Vielleicht kann man als Frau auch manche Probleme in der Gemeinde besser nachempfinden - etwa im Spannungsfeld von Beruf und kleinen Kindern zu sein", so die zweifache Mutter, die für ihren Job regelmäßig von Berlin nach Niedersachsen pendelt.

Und wie kommt es bei ihren 200 - eher älteren - Gemeindemitgliedern an, dass eine Frau die Gemeinde leitet? "So lange ich mich in dem Mikrokosmos meiner Gemeinde bewege, ist das absolut positiv. Es hat noch nie jemand komisch geguckt oder das irgendwie kommentiert", sagt Andriani.

Nur an einen Fall erinnert sie sich, als es um die Beschneidung eines Kindes ging. "Das war ein Mann aus der ehemaligen Sowjetunion und der wollte über die Beschneidung seines Sohnes nicht mit einer Frau, sondern nur mit einem Mann reden", sagt sie. "Das habe ich respektiert, weil die Intimsphäre betroffen war."

Ziel: Vereinigung deutscher Rabbinerinnen gründen

Vor allem bei der Zusammenarbeit mit großen Institutionen sei aber noch Luft nach oben. "Die bevorzugen oft die Männer. Oder sie lassen die Frauen unter schlechteren Konditionen arbeiten. Die guten Verträge schustern sich die Männer gegenseitig zu", kritisiert Andriani.

Um dem etwas entgegenzusetzen und für mehr Gleichberechtigung in ihrem Job zu sorgen, hat sie ein Ziel fest vor Augen: Sie will eine Vereinigung deutscher Rabbinerinnen gründen - zum Informationsaustausch, zum Networking. "Ich muss es nur noch in die Tat umsetzen."

Autor:

Katja Schmidtke

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