Pilgern
Luther, Kerkeling und ein toter Hund

"Ich bin dann mal weg": Seit Hape Kerkelings Bestseller ist Pilgern in Mode. 2014 wurde das Buch verfilmt mit Karoline Schuch (v.l.), Devid Striesow und Martina Gedeck. | Foto: epd-bild/RUBI
  • "Ich bin dann mal weg": Seit Hape Kerkelings Bestseller ist Pilgern in Mode. 2014 wurde das Buch verfilmt mit Karoline Schuch (v.l.), Devid Striesow und Martina Gedeck.
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Im Frühjahr 1992 hatte Pfarrer Paul Geißendörfer aus dem fränkischen Heilsbronn eine Idee: Bei einer Gemeindefahrt ins Burgund war er auf Spuren des Jakobswegs gestoßen.

Von Andreas Steidel

Er begann zu recherchieren: Gab es vielleicht auch eine Pilgerroute, die durch seine fränkische Heimat führte? Er stieß auf eine alte Fernverbindung, die Prag und Einsiedeln in der Schweiz verband. In ihrer Mitte lag der Abschnitt Nürnberg–Rothenburg. Sechs Jakobuskirchen gab es dort auf dem Weg, eine davon war das Münster in Heilsbronn. Geißendörfer lud die Seelsorger der fünf anderen Jakobskirchen zu sich ein. Es war die Initialzündung für den fränkischen Camino, den Jakobsweg von Nürnberg nach Rothenburg ob der Tauber.

13 Jahre vor Hape Kerkelings Beststeller „Ich bin dann mal weg“ hatte eine Gruppe von Geistlichen ins Schwarze getroffen. Binnen kürzester Zeit mussten drei Auflagen mit über 50 000 Exemplaren der Wegbeschreibung gedruckt werden. Ausgerechnet ein evangelischer Pfarrer hatte eine Tradition neu aufleben lassen, die Martin Luther noch für ausgemachten Unsinn hielt. „Narretei“, hatte der Reformator mit Blick auf die Pilgerei gelästert und sich gefragt, ob in Santiago de Compostela wirklich der Apostel Jakobus und nicht etwa ein toter Hund begraben lag.

Santiago de Compostela war eines der drei großen christlichen Pilgerziele des Mittelalters. Jerusalem und Rom hießen die beiden anderen. Doch Jerusalem galt vielen als zu gefährlich und Rom als zu gut erschlossen und überlaufen. Also Santiago im spanischen Nordwesten; das Grab des dortigen Apostels zog die Massen an.

Die Reformation war der erste große Dämpfer, den die Pilgerei bekam. Luther verurteilte die Buß- und Ablass-praxis, die Geschäftemacherei und die Verantwortungslosigkeit vieler Pilger. Manche hatten Haus, Hof und Familie aufgegeben und waren einfach losgezogen. Andere ließen für Geld Vasallen auf Bußtour gehen, um dem Fegefeuer zu entkommen.

Im Barock hatte das Pilgern noch einmal eine Renaissance erfahren. Doch Aufklärung und Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts brachten es endgültig in Verruf. So passierte bis weit ins 20. Jahrhundert jenseits der traditionellen katholischen Wallfahrten eigentlich nicht mehr viel. Der Jakobsweg war weitgehend in Vergessenheit geraten.

Erst Papst Johannes Paul II. knüpfte wieder an: Von einem europäischen Friedens- und Kulturweg sprach er 1982. 1987 folgte eine Zertifizierung durch den Europarat. Nach und nach wurden Jakobusgesellschaften wiedergegründet, 1993 die Hauptroute nach Santiago de Compostela von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt.

Stück für Stück folgten die Wege. Ihre Wiederbelebung war nun längst keine rein katholische Angelegenheit mehr. „Die Kritik von Martin Luther hat nichts mehr mit der gegenwärtigen Pilgerpraxis zu tun“, sagt der heute 86-jährige Paul Geißendörfer. Ein ganzes Netz von neuen Jakobswegen läuft inzwischen auf Santiago de Compostela zu.

Und die Nachfrage nach Pilgerangeboten wächst weiter. Der Kerkeling-Effekt ist dafür nur eine Erklärung. Als der Komiker 2006 sein Buch „Ich bin dann mal weg“ veröffentlichte, wurde es ein Bestseller mit über vier Millionen verkauften Exemplaren. Seit Kerkeling hat das Pilgern längst die konfessionellen Grenzen verlassen; nicht selten gehören die, die sich auf den Weg machen, überhaupt keiner der klassischen Kirchen mehr an. Es sind Sinnsucher, Menschen an Lebensübergängen, Wanderer.

Pilgern sei für die Kirchen eine große Chance, sagt Thomas Roßmerkel, Tourismusbeauftragter der bayerischen Landeskirche. Pilger sind offen, besonders für spirituelle Botschaften.

Selbst dem großen Kritiker des Pilgerns, Martin Luther, ist inzwischen eine Route gewidmet. Lutherwege führen durch sechs Bundesländer und werden in überkonfessioneller Eintracht auch von katholischen Christen gegangen. Selbst bei Wallfahrten, noch vor Kurzem rein katholische Veranstaltungen, werden immer öfter evangelische Christen gesichtet. Religiöse Gruppenunternehmungen zu Zielen wie Walldürn, Lourdes oder Altötting sind nicht mehr unbedingt ein No-Go für Protestanten – auch wenn Luther vermutlich auch heute noch etwas daran auszusetzen hätte.

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