Der Baum der Bäckerknechte

Weihnachtsbaum in Straßburg: Die Stadt im Elsass rühmt sich, den ersten Tannenbaum auf einem öffentlichen Platz für die ganze Adventszeit aufgestellt zu haben. | Foto: Alexi Tauzin-stock.adobe.com
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  • Weihnachtsbaum in Straßburg: Die Stadt im Elsass rühmt sich, den ersten Tannenbaum auf einem öffentlichen Platz für die ganze Adventszeit aufgestellt zu haben.
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Den Weihnachtsbaum – oder Christbaum, wie er im Süden Deutschlands heißt – einmal im Jahr schmücken und ins Wohnzimmer stellen – für viele Menschen gehört das zum Weihnachtsfest. Auch für solche, die mit Weihnachten kein christliches Fest verbinden.

Von Annette Seemann

Aber woher kommt die Tradition eines Baums in der Stube? Aus Thüringen, vermuten zahlreiche Menschen, auch dass Christbaumkugeln schon »immer« Teil des Schmucks waren, dass Luther eigentlich der Vater des Christbaums ist, aber Goethe ihn wahrscheinlich in Weimar heimisch gemacht hat und dass Albert von Sachsen-Coburg-Gotha ihn in England hoffähig machte. Diese Legenden verdienen es, hinterfragt zu werden. Woher kommt der Weihnachtsbaum wirklich?
Seinen Ursprung findet der Brauch, grüne Bäume zur Weihnachtszeit in die Stuben zu bringen, in der oberrheinischen Gegend, und zwar bereits in vorreformatorischer Zeit. Nach der Reformation breitete er sich sowohl unter Katholiken wie unter Protestanten weiter aus. Immer wieder wurde der Brauch damals von frommen Christen kritisiert.
In Straßburg predigte beispielsweise der Theologe und Philosoph Geyler von Kaysersberg (1445–1510) am Straßburger Münster 1508 wider den »heidnischen Neujahrsbrauch«, wie er überhaupt die in seinen Augen falschen Moralvorstellungen der Bürger gern anprangerte und darauf hoffte, die Menschen könnten sich insgesamt zu einem asketischeren Lebensideal »reformieren«.
Wo aber standen die ältesten Weihnachtsbäume Deutschlands genau? Zuerst nicht in privaten Wohnhäusern, sondern in Zunftstuben. Als älteste Quelle dafür gelten die Rechnungsbücher des Städtchens Schlettstadt (heute Sélestat) im Elsass von 1521. In einem Rechnungsbuch der Humanistischen Bibliothek kann man lesen: »Item IIII schillinge dem foerster die meyen an sanct Thomas tag zu hieten.« (Vier Schillinge dem Förster zu bezahlen, damit er ab dem St. Thomas-Tag die Bäume bewacht).
Eindeutig ging es hier also um Zweige oder ganze Bäume, die direkt vor Weihnachten heimlich gefällt wurden und die der Förster daher mit Extragehalt bewachen sollte. Schlettstadt wäre damit der Geburtsort des Weihnachtsbaums!
Mehrere Gemeinden in derselben Gegend glauben ebenfalls, Geburtsorte des Weihnachtsbaums zu sein. Hier die Ansprüche in chronologischer Ordnung: Den Überlieferungen zufolge wurde der erste Weihnachtsbaum schon im Jahr 1419 von der Freiburger Bäckerschaft aufgestellt, und zwar vor dem Heilig-Geist-Spital, also an einem öffentlichen Ort. Die Bäckerknechte sollen den Baum mit Äpfeln, Nüssen und Lebkuchen behängt haben, die die Kinder an Neujahr herunterschütteln durften.
Die Stadt Ammerschweier (Ammerschwihr) im Elsass verzeichnete 1448 und 1530 in ihrem Stadtbuch, dass Bürger sich Weihnachtsbäume bis zu einer maximalen Größe von 2,50 Metern schlagen durften. Daraus kann man angesichts wesentlich niedrigerer privater Raumhöhen schließen, dass diese Bäume entweder in Rats-, Zunft- oder Gesellschaftsstuben beziehungsweise auch im Freien aufgestellt wurden. Dieser »allgemeine« oder gesellschaftliche Baum war denn auch vermutlich der »ur-sprüngliche«.
Auch andere Gegenden in Deutschland wie etwa die ostpreußischen Städte Riga und Tallinn kannten nur geringfügig später aus Kaufherrenvereinigungen den weihnacht-lichen Tannenbaum, der umtanzt und später verbrannt wurde.
Ab 1520 und 1521 fassten jedenfalls die neuen reformatorischen Ideen in Straßburg und dann auch den mittleren Städten des Elsass Fuß, zunächst bei den Wohlhabenden und jenen, die des Berufs wegen reisten. Straßburg verzeichnet in seinen Rechnungs-büchern von 1539 auch das Schlagen von Tannengrün zu Weihnachten. Straßburg rühmt sich indes auch, den ersten Tannenbaum auf einem öffentlichen Platz der Stadt für die ganze Adventszeit aufgestellt zu haben, doch auch dies konnte durch keinerlei Quellen belegt werden.
Jahre später, 1554, wurde in Freiburg das Fällen von »weyhenacht-meyen«, also nicht von Tannenzweigen, sondern ganzer Weihnachtsbäume, untersagt. Offenbar bedien-ten sich viele Menschen mittlerweile an den Bäumen der umliegenden Wälder derart, dass es schließlich um 1561 zu einer Verordnung in Ammerschwihr kam, wonach jeder Bürger zu Weihnachten nur auf einen Baum ein Anrecht hatte.

Die Autorin Annette Seemann ist promovierte Literaturwissenschaftlerin, Publizistin und Übersetzerin. Sie lebt und arbeitet in Weimar.

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