Der „antichristliche“ Pfarrerssohn
Denker einer beschleunigten Moderne

Nachlass im Weimarer Nietzsche-Archiv, beispielsweise unten rechts ein Porträt von Edvard Munch | Foto: epd-bild/Paul-Philipp Braun
  • Nachlass im Weimarer Nietzsche-Archiv, beispielsweise unten rechts ein Porträt von Edvard Munch
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Einem einflussreichen Philosophen der Moderne, der den Tod Gottes postulierte und zu DDR-Zeiten verteufelt war, wird jetzt in Weimar eine herausragende Ehrung zuteil: Anlässlich des 125. Todestages von Friedrich Nietzsche (1844–1900) am 25. August überreicht die Präsidentin der deutschen UNESCO-Kommission, Maria Böhmer, der Klassik Stiftung Weimar eine einzigartige Urkunde.

Von Edgar S. Hasse

Die Institution bewahrt einen großen Teil des literarischen Nachlasses jenes weltbekannten Pfarrerssohnes aus Röcken bei Merseburg auf, der nach seinem Tod dortselbst am 28. August 1900 ohne kirchlichen Beistand bestattet wurde. Im Kirchenbuch wurde vermerkt, der Verstorbene sei „antichristlich“ gewesen.

Mit der Urkunde ist nun besiegelt: Nietzsches Nachlass gehört jetzt zum Unesco-Weltdokumentenerbe. Nach der geretteten Lutherbibel Cranachs und dem schriftlichen Nachlass Goethes richte diese Unesco-Entscheidung den Fokus auf die Moderne im Arbeitsspektrum der Stiftung, freut sich deren Präsidentin Ulrike Lorenz über die Auszeichnung. „Nietzsche“, sagt Thüringens Kultusminister Christian Tischner (CDU), „hat früh die großen Umbrüche der Moderne gespiegelt – seine Manuskripte sind Ausdruck intellektueller Offenheit, die wir gerade heute brauchen.“

Kern des Nachlasses sind Manuskripte, Notizen und Briefe, die heute im Goethe- und Schiller-Archiv der Klassik Stiftung Weimar aufbewahrt werden, sowie seine persönliche Bibliothek, die zur Herzogin Anna Amalia Bibliothek gehört. Weil Nietzsche zehn Jahre lang als Professor für klassische Philologie an der Universität Basel gearbeitet hat, besitzen die dortige Universitätsbibliothek und das Staatsarchiv weitere Dokumente aus seinem Nachlass, darunter die Psychiatrie-Krankenakte von 1889.

Mit der Aufnahme in das universelle Weltdokumenten-Erbe erfährt der mitteldeutsche Philosoph, Dichter und Komponist, der als Heranwachsender von 1850 bis 1856 in Naumburg lebte, eine zu DDR-Zeiten verbotene Würdigung. Denn damals war er jahrzehntelang schlichtweg verpönt. Die SED-Führung hatte die Schließung des Nietzsche-Archivs verfügt und den Druck seiner Werke untersagt.

Unter dem Einfluss des Marxisten Georg Lukács galt der Autor von „Also sprach Zarathustra“, „Menschliches, Allzumenschliches“ und „Jenseits von Gut und Böse“ als Vordenker des Nationalsozialismus, weil er unter anderem den Typus des Übermenschen mit seinem „Willen zur Macht“ lehrte.

Noch kurz vor dem Ende der DDR warnte der Philosoph Wolfgang Harich die SED-Führung vor einer „Nietzsche-Renaissance“, wie sie gerade sich im Westen ereignete.

Für Christen ist Nietzsches Ausruf „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“ auf den ersten Blick schwer erträglich. Aber jener Philosoph, der vor 125 Jahren in geistiger Umnachtung starb, erweist sich mit dieser Analyse seiner Zeit als tiefgründiger Denker einer beschleunigten, entchristlichten Moderne, die beim „Tanz um das Goldene Kalb“ Gott längst abgeschafft hat – mit gravierenden Folgen für den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Denn die sinkende Religiosität im Land geht auch heute mit einer „Umwertung aller Werte“ (Nietzsche) und insofern mit dem Geltungsverlust christlicher Ethik und Moral einher, wie es die Abtreibungsdebatte neuerdings wieder zeigt. Nietzsche inspiriert und spaltet bis heute die Gemüter.

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