Windsbacher Knabenchor
Das Wunder von Windsbach

Vom Knaben zum Star: Bariton Uwe Schenker-Primus sang einst im weltberühmten Knabenchor. 2020 beteiligte er sich an einer Studie der Bauhaus-Uni Weimar zur Corona-Infektionsgefahr beim Musizieren. | Foto: Lia Becher
  • Vom Knaben zum Star: Bariton Uwe Schenker-Primus sang einst im weltberühmten Knabenchor. 2020 beteiligte er sich an einer Studie der Bauhaus-Uni Weimar zur Corona-Infektionsgefahr beim Musizieren.
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Für ihre traditionellen Lorenzer Motetten sind die Windsbacher bekannt. Heute gehören sie zur Weltspitze der Knabenchöre. Als im März 1946 die ersten 91 Internatsschüler nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in das wiedereröffnete Pfarrwaisenhaus im mittelfränkischen Örtchen Windsbach einzogen, ahnte das noch niemand. Wie aus dem Nichts formte der junge Hans Thamm ein Ensemble von Weltruhm. In diesem Jahr feiert der Windsbacher Knabenchor sein 75-jähriges Bestehen.
Der heutige Chorleiter Martin Lehmann, erst der dritte seit der Gründung der Windsbacher, stammt aus Dresden, war im dortigen Kreuzchor selbst Sänger. Als sein Vorgänger Karl-Friedrich Beringer ihm den Schlüssel zum Chorleiterbüro kurz vor Amtsantritt 2012 in die Hand drückte, habe er ihm gesagt: «Jetzt haben Sie den Ferrari in den Händen.»
Ein solch professionelles Umfeld wie in Windsbach gebe es nur an wenigen Orten, sagt Lehmann. Das liegt auch am Team rund um den Internatsleiter. Bis Ende August ist das noch Pfarrer Thomas Miederer. Seit Juli 2001 ist er der Mann im Hintergrund. «Wir sind Dienstleister für den Chor», sagt er und fügt hinzu: «Wer sichtbare Karriere machen will, darf nicht Internatsleiter in Windsbach werden.»
Chorgründer Hans Thamm leistete ab 1946 enorme Aufbauarbeit in der Provinz. Als «Wunder von Windsbach» wurde der fast schon kometenhafte Aufstieg des Knabenchores bezeichnet. Innerhalb weniger Jahre schloss die Neugründung künstlerisch zu den großen und teils jahrhundertealten Namen der Knabenchorszene auf. Windsbach wurde in einem Atemzug mit dem Dresdner Kreuzchor, dem Leipziger Thomanerchor und den Regensburger Domspatzen genannt.
Von Anfang an sangen die Windsbacher in der engeren Umgebung – und hatten schnell viele Fans. Eines der ersten Konzerte, damals noch als Chor des «Pfarr-Waisenhauses», gaben die Knaben am 8. Dezember 1946 in der Kirche von Wassermungenau. Die etwa sechs Kilometer lange Strecke wanderten die Choristen vor dem Konzert hin und danach auch wieder zurück. Als Entlohnung gab es Essbares vom Acker. In der von Not geprägten Nachkriegszeit war das Gold wert.
Lehmann sagt, Chöre wie seine Windsbacher seien «ein verletzliches, ein gefährdetes, aber unverzichtbares Kulturgut» und «nichts von gestern». Deshalb hoffe er, dass dies auch weiterhin von Gesellschaft und Kirche geschätzt wird. Knabenchöre pflegten «die musikalischen Wurzeln des Protestantismus» und hielten sie dadurch am Leben.
«Was nach Corona ansteht, ist ein Neuaufbau des Chores», sagt der scheidende Internatsleiter Miederer. Wieder eine störungsfreie Arbeit am «Windsbacher Klang» zu ermöglichen, werde die große Aufgabe seines Nachfolgers. Der unverwechselbare Klang des Windsbacher Knabenchores war das Markenzeichen von Lehmanns Vorgänger, Feuilletonisten sprachen gar vom Beringer-Chorklang. Der hatte den Chor 1978 von Thamm übernommen und den wertvollen Edelstein zu einem funkelnden Brillanten geschliffen.
Bei aller Freude über 75 Jahre wollen die Windsbacher aber auch die «dunklen Stunden» in der Geschichte des Chores nicht verschweigen: 2004 gab es Vorwürfe gegen Beringer wegen Misshandlung Schutzbefohlener. Ermittlungen bestätigten diese Vorwürfe allerdings nicht. 2010 schließlich, drei Jahre nach Thamms Tod, erhoben Ehemalige Vorwürfe gegen den Chorgründer wegen angeblicher Misshandlungen. Miederer sagt, es könne «nur einen ehrlichen Umgang» damit geben.
Das heißt: Die Verfehlungen benennen. «Man muss aber auch sehen, dass die Personen damals mit den Methoden von damals gearbeitet haben.» Diese seien aus heutiger Sicht zurecht falsch und verboten, «aber damals war das üblich» – und auch erlaubt. «Diese dunklen Seiten tragen wir als Mahnung weiter mit uns.»
Daniel Staffen-Quandt (epd)

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