Israel (Teil 2, Schluss)
Ein, zwei oder drei Staaten

Foto: epd-bild/Meike Boeschemeyer

Israel: Die Zweistaatenlösung wird mit dem aktuellen Nahostkonflikt wieder zum Thema. Die einen erklären sie für tot, die anderen fordern sie unablässig. Doch wie könnte die Umsetzung aussehen, und was sind die Alternativen? Ein Realitätscheck. 

Von Helmut Frank

Nach der Unterzeichnung des israelisch-ägyptischen Friedensvertrags 1979 und der Räumung des besetzten Gazastreifens durch Israel 2005 versuchten in den Folgejahren verschiedene arabische und islamistische Gruppen, in blutigen Kämpfen die Vorherrschaft über das Gebiet zu erlangen. Am Ende siegte die Hamas – zunächst in einer Wahl – und verwandelte Gaza in einen Terrorstaat, der nur ein Ziel hatte: die Auslöschung Israels. Dafür hatten die Islamisten einen großen Rückhalt in der Bevölkerung.

Diplomatisches Feigenblatt

Das unabhängige Gaza, das mit Milliarden Dollar von der Weltgemeinschaft und der EU die Chance zur Entwicklung gehabt hätte – steht für das Scheitern der Zweistaatenlösung. Der 7. Oktober hat gezeigt, dass nicht automatisch Frieden einkehrt, wenn man den Palästinensern einen eigenen Staat gibt. Im Gegenteil: Palästinensische Autonomie bereitet wegen der Dominanz radikaler Gruppen dem Terror den Weg. Das zweite Problem palästinensischer Selbstverwaltung ist die Korruption. Die westlichen Milliardenhilfen an die Autonomiebehörde im Westjordanland versickern in Clanstrukturen oder werden in Märtyrerrenten investiert.

Visionen für das Heilige Land

In der Region gibt es derzeit folglich niemand, der für die Zweistaatenlösung eintritt. Mit wem könnte sie auch ausgehandelt werden? Mit dem schwer angeschlagenen israelischen Premier Benjamin Netanjahu, dessen Zustimmungswerte in Israel nach dem Hamas-Massaker im freien Fall sind? Mit dem 88-jährigen Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, der sich seit fünfzehn Jahren Wahlen verweigert und in seinem Volk inzwischen ohne Rückhalt ist? Gäbe es die Hamas nach dem Krieg noch, hätte sie an Verhandlungen mit Sicherheit genauso wenig Interesse wie der Islamische Dschihad oder die Volksfront für die Befreiung Palästinas.

Die Zweistaatenlösung entlarvt sich als diplomatisches Feigenblatt. Der israelische Historiker und Journalist Tom Segev brachte es so zum Ausdruck: »Die Zweistaatenlösung sehe ich auch nicht kommen. Ich glaube, das ist eine diplomatische Fiktion, die alle Länder sich angeeignet haben, um irgendwie die Hoffnung für Frieden zu erhalten.« Dabei gab es hoffnungsvolle Ansätze: Im Jahr 2006 wollte der damalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert das Problem des Flickenteppichs im Westjordanland lösen und die beiderseitigen Gebiete durch Landaustausch konsolidieren. Mit ihren völkerrechtswidrigen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten hatten sich die Israelis die Zweistaatenlösung regelrecht verbaut. Die inzwischen rund 700 000 illegalen Siedler im Westjordanland können nicht so einfach abgezogen werden, wie es bei der Übergabe des Gazastreifens geschehen ist.

Nach Olmerts Plan sollten die drei größten israelischen Siedlungsgebiete an Israel angeschlossen werden, insgesamt etwa zehn Prozent des Westjordanlands. Mehrheitlich arabisch besiedelte Gebiete aus dem israelischen Kernland sollten dafür dem palästinensischen Staat zugeschlagen werden, immerhin mehr als sechs Prozent des israelischen Staatsgebiets. Der rechtskonservative Politiker verfolgte damit zwei Ziele: Israel sollte auf palästinensisch bewohntes Land verzichten, damit im verbleibenden Gebiet eine stabile jüdische Mehrheit und somit die Weiterexistenz des jüdischen Staats gesichert ist. Zweitens erhoffte er sich mehr Sicherheit für Israel.

Mutige Lösungsversuche

Olmert ging weiter als alle seine Vorgänger, er nahm sogar das heißeste Eisen im Nahostkonflikt in die Hand: Ost-Jerusalem, das völkerrechtlich zu den palästinensischen Gebieten gehört, wollte er unter palästinensische Souveränität stellen lassen. Der arabische Traum von der heiligen Hauptstadt Al-Quds hätte Wirklichkeit werden können.

Olmert dachte an alles, er hatte auch Lösungen für den Gazastreifen und die Rückkehr der Flüchtlinge parat. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas lehnte den Plan trotzdem als »gänzlich unakzeptabel« ab. Die Begründung hat Olmert nie erfahren. Vermutlich, weil die Palästinenser weiter von der Maximallösung träumten, einem judenfreien Palästina – vom Meer bis zum Jordan.

Einen ähnlichen Versuch der Zweistaatenlösung auf der Grundlage eines Landaustauschs wagte 2020 der amerikanische Präsident Donald Trump. Jerusalem sollte allerdings die ungeteilte Hauptstadt Israels bleiben, während das früher zu Jerusalem gehörende Abu Dis die Hauptstadt Palästinas werden sollte. Eine Autobahn sollte das Westjordanland mit dem Gazastreifen verbinden, die Palästinenser sollten Zugang zu israelischen Häfen bekommen und Industriegebiete ansiedeln.

Trump und sein Schwiegersohn Jared Kushner dachten auch über die künftige Struktur des Gemeinwesens nach: Der palästinensische Staat sollte einer liberalen Ordnung folgen, eine unabhängige Justiz, Menschenrechte, Religions- und Pressefreiheit sowie ein demokratisches System gewährleisten. Gleichzeitig sollten die Korruption bekämpft, antisemitische Passagen in Schulbüchern entfernt und die Zahlung von Renten an palästinensische Terroristen und deren Angehörige eingestellt werden.


»Die Zweistaatenlösung ist eine diplomatische Fiktion, die alle Länder sich angeeignet haben, um irgendwie die Hoffnung für Frieden zu erhalten«

Der Plan wurde im Westen niedergemacht, aber von den Arabern kamen positive Signale: Saudi-Arabien bat die Palästinenser, auf dieser Basis zu verhandeln, Ägypten wertete ihn als Beitrag zu Stabilität. Kurios: Betroffene israelische Araber protestierten gegen den Plan, weil sie künftig nicht in einem palästinensischen Staat leben wollen. Auch in Israel überwiegen die Vorbehalte gegen eine Zweistaatenlösung.
Das Rezept »Land für Frieden« hat sich als verheerend erwiesen. Der jüdische Staat wird praktisch aus allen Gebieten, die Israel jemals abgetreten hat, bedroht. Erschwerend hinzu kommt der Aufstieg von Vertretern der radikalen Siedler in die israelische Regierung. Der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich und der ultrarechte Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir betrachten das Westjordanland als Kernland Israels – Judäa und Samaria.

Sie sehen es als Gottes Auftrag, dieses biblische Gebiet jüdisch zu besiedeln. Von ihnen stammt auch die Idee, dass der Gazastreifen nach der Ausschaltung der Hamas wieder von jüdischen Israelis eingenommen werden sollte. Die dort lebenden Palästinenser wollten sie in benachbarte arabische Staaten vertreiben.

Vision mit Potenzial

Israels Premier Benjamin Netanjahu hat die Provokationen seiner Minister zurückgewiesen. Auf X (vormals Twitter) nannte er als Kriegsziel »die Hamas-Terroristen aus Gaza zu entfernen und unsere Geiseln zu befreien«. Wenn dies erreicht sei, könne Gaza entmilitarisiert und so »eine bessere Zukunft für Israel und Palästinenser geschaffen« werden. Die Zweistaatenlösung meint er damit wohl nicht.

Die Zweistaatenlösung hat großes Potenzial, ist aber aktuell nicht realisierbar. Was versprechen die Ein-Staat-Lösung und die Drei-Staaten-Lösung? Die Ein-Staat-Lösung »Palesrael« oder »Isratin« ist vor allem bei US-amerikanischen Intellektuellen und linken israelischen Journalisten beliebt. Es ist die Vision eines gemeinsamen Staats von Juden und Arabern mit gleichen Rechten für alle. Der palästinensisch-amerikanische Intellektuelle Edward Said, nahöstlicher Projektpartner von Daniel Barenboim, stellte fest: »Der klassische Zionismus hat keine Lösung für die Existenz der Palästinenser gefunden. Deshalb sehe ich keine andere Möglichkeit, als anzufangen, davon zu sprechen, das Land, das uns zusammengebracht hat, gemeinsam zu nutzen, in einer wahrhaft demokratischen Weise, mit denselben Rechten für alle Bürger.«
Auch unter rechtsgerichteten israelischen Politikern hat die Idee eines binationalen Staats Befürworter – allerdings unter anderen Vorzeichen: Israel annektiert das Westjordanland und gibt den dort lebenden Palästinensern die vollen staatsbürgerlichen Rechte. Das Wahlrecht und drohende muslimisch-arabische Mehrheitsverhältnisse sehen manche als Problem, manche nicht: Fantasten unter den Ultrarechten träumen von einer Emigration großer Teile der Palästinenser, sollten sie in einem Großisrael vom Meer bis zum Jordan aufwachen.

Renaissance einer Idee

Bedenken gibt es allerdings, wie ein demokratisches Land funktionieren soll, wenn die Hälfte der Bevölkerung einer anderen Kultur angehört, die keine demokratische und rechtsstaatliche Tradition hat. Hamas-Sympathisanten vereint mit Siedlern und Ultraorthodoxen in einem Staat? Schwer vorstellbar. Die jüngere Geschichte kennt außerdem Beispiele, wo es trotz besserer Voraussetzungen nicht funktioniert hat: im Vielvölkerstaat Jugoslawien, in der Tschechoslowakei, im Libanon. Einer Umfrage von 2013 zufolge lehnen 63 Prozent der Israelis und 69 Prozent der Palästinenser die Ein-Staat-Lösung ab.

Eine Renaissance erlebt momentan die Drei-Staaten-Lösung. Nach diesem Szenario soll die Kontrolle des Westjordanlands an Jordanien sowie die des Gazastreifens an Ägypten übertragen werden. Der deutsch-israelische Historiker Michael Wolffsohn gehört zu den Verfechtern dieser Lösung. Das Problem: Ägypten hat kein Interesse am Gazastreifen, nur widerwillig öffnet es momentan seine Grenze für Hilfslieferungen an die Palästinenser, ansonsten ist das Gebiet aus Furcht vor Islamisten militärisch abgeriegelt.

Vielleicht muss man für mehr arabisches Engagement finanzielle Anreize schaffen. Stephan Bierling, Professor für internationale Politik in Regensburg, würde Saudi-Arabien und die reichen Golf-Scheichtümer in die Pflicht nehmen. Er plädiert dafür, den Gazastreifen und das Westjordanland an den »De-facto-Palästinenserstaat« Jordanien anzuschließen. Wer sich sträubt, ist König Abdullah von Jordanien. Bierling: »Die schmutzige Wahrheit des Mittleren Osten ist: Alle islamischen Staaten stellen sich rhetorisch hinter die Palästinenser, aber keiner will nur einem Palästinenser die vollen Bürgerrechte gewähren oder sie im Land haben.«

Der Autor ist Theologe und Chefredakteur des bayerischen Sonntagsblattes.

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