Jubiläum
Kultusgemeinde feiert Wiedergründung vor 80 Jahren

- Charlotte Knobloch
- Foto: epd-bild/Theo Klein
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In der Münchner Hauptsynagoge «Ohel Jakob» wurden am Dienstag gleich zwei Jahrestage gefeiert: die Wiedergründung der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern vor 80 Jahren und der Beginn der Präsidentschaft von Charlotte Knobloch vor 40 Jahren. Knobloch hat eine Ära geprägt und das Judentum wieder in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Ihr Herzensprojekt: der Bau des Jüdischen Zentrums in München.
Von Christiane Ried
Mit Blick auf offenen Antisemitismus in Deutschland hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) die lange Untätigkeit von Politik und Gesellschaft kritisiert. Autoritäres Denken finde in Deutschland wieder Anschluss, jüdisches Leben werde erneut bedroht, sagte die CDU-Politikerin beim Festakt zum 80. Gründungstag der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) München und Oberbayern. «Wir haben diese Unfreiheiten zugelassen und 'Wehret den Anfängen' vergessen», beklagte Klöckner in der Ohel-Jakob-Synagoge.
Aus Furcht vor Übergriffen müssten jüdische Menschen in Deutschland ihre Religion wieder verschweigen, sagte Klöckner bei der Festveranstaltung. Doch wenn Menschen ihren Glauben verstecken müssten, sei «längst wieder etwas aus dem Gleichgewicht geraten». Diese Entwicklung habe die Gesellschaft durch zu langes Schweigen befördert, «insbesondere wenn Antisemitismus als 'Israelkritik' verharmlost wurde». Judenhass komme in Deutschland «von rechts, von links, und oft aus religiösem Eifer», erklärte Klöckner. Eine tolerante Gesellschaft dürfe das nicht hinnehmen.
Dass es in München heute eine lebendige jüdische Gemeinde mit einem selbstbewussten Zentrum im Herzen der Stadt gebe, sei das Verdienst von Charlotte Knobloch, seit 40 Jahren IKG-Präsidentin, und «all derer, die vor 80 Jahren den Mut hatten, einen Neuanfang zu wagen», sagte die Bundestagspräsidentin.
Charlotte Knobloch überlebte als Kind die Verfolgung durch die Nationalsozialisten, blieb trotz Auswanderungsplänen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, bekleidete die höchsten jüdischen Ämter des Landes und verwirklichte ihr «Herzensanliegen», das Jüdische Zentrum im Herzen Münchens. Seit inzwischen 40 Jahren ist Knobloch nun schon Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde
(IKG) München und Oberbayern und hat damit eine Ära geprägt. Auch mit 92 Jahren kämpft sie unermüdlich gegen Antisemitismus und für ein Judentum in der Mitte der Gesellschaft.

- Charlotte Knobloch
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Mit einem großen Festakt an diesem Dienstag in der Münchner Hauptsynagoge «Ohel Jakob» will die Kultusgemeinde ihre Wiedergründung vor 80 Jahren feiern - und zugleich 40 Jahre Präsidentschaft von Charlotte Knobloch würdigen. Die Kultusgemeinde war am 15. Juli 1945 - also nur zwei Monate nach dem Ende des Nationalsozialismus und des Holocaust - wiedergegründet worden. Maßgeblich daran beteiligt war auch Charlotte Knoblochs Vater, der jüdische Münchner Rechtsanwalt Fritz Neuland (1889-1969).
Neuland wurde 1945 zum Vizepräsidenten gewählt, von 1951 bis 1969 war er mit Unterbrechungen Präsident. Seit 1985 hat seine Tochter das Amt der IKG-Präsidentin inne. Dass Fritz Neuland und vor allem Charlotte Knobloch einmal das deutsche und Münchner Judentum derart prägen würden, war nicht abzusehen. Es grenzt an ein Wunder, dass die beiden die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überhaupt überlebt haben.
Charlotte Knobloch wurde am 29. Oktober 1932 in München als einziges Kind von Fritz Neuland und seiner zum Judentum konvertierten Frau geboren. Als kleines Kind musste sie den Abtransport ihrer Großmutter ins KZ sowie die Pogromnacht 1938 in München miterleben und versteckte sich danach jahrelang vor den Nazis in Franken. Nach dem Ende des Nationalsozialismus kehrten Neuland und seine Tochter Charlotte nach München zurück - und blieben.
1951 heiratete sie, mit den drei Kindern waren dann auch die Auswanderungspläne in die USA vom Tisch. In die Öffentlichkeit trat Knobloch erst, als die Kinder groß waren - «dann habe ich mit meinen Tätigkeiten in der jüdischen Gemeinde begonnen». Gern hätte sie Jura studiert, aber wegen ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten habe sie einfach zu viele Lücken in der Schule gehabt, sagte Knobloch einmal im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie sei daher immer auf der Suche gewesen. All ihre nationalen und internationalen Ämter seien wohl «der Ersatz für einen Wunsch, dem ich nicht nachkommen konnte», sagte sie.
1985 wurde sie Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, 1997 Vizepräsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, 2006 für vier Jahre dessen Präsidentin. Dazu kamen Spitzenämter im Jüdischen Weltkongress und im Europäischen Jüdischen Kongress. Gefühlt habe sie sich aber immer als «Münchner Kindl», so Knobloch.
Dementsprechend wichtig war ihr der Bau des neuen Jüdischen Zentrums mit der Ohel-Jakob-Synagoge in ihrer Heimatstadt. Jahrelang habe sie Widerstände hinnehmen müssen, wollte auch schon alles hinschmeißen. Aber sie fühlte sich durch den Gegenwind nur noch mehr angespornt: «Ich wollte dieses Projekt durchsetzen.» Mit der Eröffnung des Zentrums am Jakobsplatz im Herzen Münchens im Jahr 2006 habe man die «Hinterhofatmosphäre» der Synagoge in der Reichenbachstraße verlassen und sei im Bewusstsein der Menschen angekommen, sagte sie.
Knoblochs Wort zählt viel in München, wo sie seit 2005 Ehrenbürgerin ist. Sie hält einen regen Austausch mit dem Münchner Rathaus und der bayerischen Staatsregierung. Dass in München keine Stolpersteine auf öffentlichem Grund verlegt werden, wie in zahlreichen anderen Städten, geht auf ihr Veto zurück. Mit ihnen würden jüdische Menschen erneut mit Füßen getreten, so ihre Argumentation. Stattdessen werden in München Erinnerungszeichen für NS-Verfolgte an den letzten Wohnorten der Opfer angebracht.
Kummer bereitet ihr der wiedererstarkte Antisemitismus in Deutschland und der Welt. «Ich habe mir nie vorstellen können, dass ich Antisemitismus in dieser Form noch mal erleben muss», sagte sie nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle 2019. Ein Dorn im Auge waren ihr die rechtsextreme NPD, die zu ihrem Bedauern vom Bundesverfassungsgericht trotz zweier Anläufe nie verboten wurde, und die AfD. Sie könne es nicht fassen, dass sich mit der AfD eine Partei etabliert habe, die Holocaust-Vergessen und Antisemitismus in den Vordergrund stelle.
Auch wenn Knobloch eine der letzten Jüdinnen ist, die die NS-Zeit hautnah miterlebt haben, mahnt sie dennoch regelmäßig: «Das Judentum darf sich nicht über den Holocaust definieren.» Wenn jetzt Juden wieder in eine Ecke gestellt und zu Opfern gemacht würden, «tut uns das nicht gut». Für ihre Enkel und Urenkelkinder wünscht sie sich, dass diese «in Freiheit, in Ruhe und Frieden leben können».
(epd)
Autor:Online-Redaktion |
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