Kirchengeschichte & Sozialliberalismus
Zum 150. Geburtstag von Kirchenrat Rudolf Herrmann am 23. Juli

- hochgeladen von Dietmar Wiegand
Als im Goethe-Jahr 1949 Thomas Mann Weimar besuchte, begrüßte als Stadtverordnetenvorsteher der gleichaltrige Rudolf Herrmann den prominenten Gast. Stadtverordnetenvorsteher war das letzte öffentliche Amt, das der am 23. Juli 1875 in Ruppersdorf im Fürstentum Reuß jüngere Linie geborene Pfarrersohn bekleidete (1948-1950).
25jährig (1900) war er ordiniert worden. Er wurde Pfarrer u.a. in Oberweid/Rhön (1903-1906), in Neustadt/Orla (1906-1925) und Schönau/Hörsel (1925-1932) und hatte als in den Landeskirchenrat gewählter Kirchenrat (nebenamtlich ab 1923, hauptamtlich ab 1932) in der 1920 gebildeten Thüringer Landeskirche Verantwortung für eine „freie Volkskirche“ übernommen. Als Personal, Schul- und Sozialreferent war ihm die Landeskirche als „Heimat evangelischer Freiheit und Duldsamkeit“ ein Herzensanliegen. Vor alliberalen, antidemokratischen und totalitären Tendenzen warnte er früh, sodass er, der Kirchlich-Liberale, 1933 im Zuge der deutsch-christlichen „Gleichschaltung“ der Kirchenleitung der Thüringer evangelischen Kirche in den Wartestand versetzt wurde, ehe man ihn 1938 wieder brauchte und in das neugeschaffene Amt eines Kirchenarchivwarts der Thüringer evangelischen Kirche berief.
In dieser Funktion waren ihm die Pfarrarchive, nicht die Archivbestände im Landeskirchenamt (Landeskirchenarchiv) anvertraut. Von Weimar aus, wo er seit der Versetzung in den Wartestand lebte, kümmerte er sich um Erfassung und Erhalt des in den Thüringer Pfarrämtern zu findenden papierenen Niederschlags vergangener Zeiten. Unter den kirchen- wie gesellschaftspolitischen Umständen, die er nicht getragen hat, sondern zu ertragen suchte, mag er in diesem Amt die Möglichkeit gesehen haben einer über den gegebenen zeitgeschichtlichen Kontext hinausgehenden Kulturarbeit.
Seine Distanz zum Nationalsozialismus wurde nicht zuletzt auch darin deutlich, wie er Anfang 1934 in einem in der „Freien Volkskirche“ erscheinenden Aufsatz die Kirche erinnerte, was Voraussetzung und Hintergrund der „Verkündigung ‚jetzt‘“ – so die Überschrift – sein müsste, nämlich: „die ungeheuren inneren Nöte unseres Volkes.“ Mit Worten der Frauenrechtlerin und Naumannianerin Gertrud Bäumer (1873-1954) lenkte er die Blicke auf die, „‘die Unrecht leiden, in Angst leben, sich verkannt sehen müssen, die vergeblich um einen Boden für Arbeit, Existenz und menschliche Achtung ringen, oder die unter dem Druck von unwahrhaftiger Anpassung, die Selbstachtung peinigenden Kompromissen stehen.‘“ Er fügte an: „In diesen Nöten zu helfen, ist die Aufgabe der Verkündigung ‚jetzt‘. Wenn überhaupt die Verkündigung eine zeitgebundene und zeitbedingte Aufgabe hat – und wer wollte das leugnen –, dann liegt sie in erster Linie hier.“
Als der Pfarrer und Kirchenrat Rudolf Herrmann Archivar wurde, war er als Kirchenhistoriker Thüringens schon bekannt und seine „Thüringische Kirchengeschichte“ bereits in den ersten Lieferungen erschienen. Aber Rudolf Herrmann war nicht nur ein historisch interessierter, kirchengeschichtlich passionierter Pfarrer, der 1929 die Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte mitbegründete und 1930 den Ehrendoktortitel von der Theologischen Fakultät in Jena für seine kirchengeschichtlichen Arbeiten erhielt, sondern ein kirchlich wie kulturell, theologisch wie politisch engagierter Zeitgenosse, der den christlichen Glauben in seiner protestantischen Prägung auch als kulturschaffende und gesellschaftsgestaltende Kraft verstand.
Sein Leben in ‚öffentlichen Ämtern‘ umfasste die ersten fünfzig Jahre des 20. Jahrhunderts. Schon als junger Pfarrer war er, wie sein langjähriger Kollege und Freund, August César, vor allem von dem Pfarrer und Politiker Friedrich Naumann geprägt, für eine Demokratisierung von Kirche und Staat eingetreten, hatte sich liberalen Parteien angeschlossen, später, zur Zeit der Weimarer Republik der linksliberalen DDP (Deutschen Demokratischen Partei) und nach dem Ende von NS-Herrschaft und Zweiten Weltkrieg der LDP (Liberaldemokratischen Partei), die in der SBZ, gerade auch in Thüringen, der Stalinisierung trotze und gute Wahlergebnisse erzielte, ehe sie in der „Nationalen Front“ gleichgeschaltet wurde, was Herrmann auch zum Rückzug aus der Politik veranlasste, nicht ohne noch einmal in der Thüringer Landeszeitung an den sozial-liberalen Friedrich Naumann zu erinnern und an die Bedeutung der Freiheit (gerade auch als Korrektiv zum „Sozialismus“).
Beinahe wäre er noch Oberbürgermeister in Weimar: Als 1948 in Weimar ein neuer Oberbürgermeister gewählt werden musste, schlug die stärkste Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung, die Fraktion der LDP, als Nachfolger Kirchenrat Rudolf Herrmann vor, der „als bekannte Persönlichkeit des Weimarer Kulturlebens besonders im Hinblick auf das Goethejahr und die Tradition der Stadt ein geeigneter Oberbürgermeister sei.“ Obwohl das Besatzungsrecht vorsah, dass die stärkste Fraktion den Ober-bürgermeister stellen sollte, bestand die CDU ihrerseits auf einen Kandidaten, der von der SED-Fraktion unterstützt wurde, da diese Kirchenrat Herrmann nicht für einen „fortschrittlichen Demokraten“ hielt.
Fast 77-jährig am 11. Juni 1952 verstarb Rudolf Herrmann in Weimar. Seine zweibändige Thüringische Kirchengeschichte wurde im Jahr 2000 nochmals (als Reprint) veröffentlicht (mit einem Vorwort von Ernst Koch).




Autor:Dietmar Wiegand |
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