Diakonie
Die Antwort auf einen SOS-Ruf

Bewogen zu einer Bewerbung bei der Stiftung Christopherushof hatte Bettina Schmidt ein Gesuch in der Kirchenzeitung. | Foto: Foto: Beatrix Heinrichs
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  • Bewogen zu einer Bewerbung bei der Stiftung Christopherushof hatte Bettina Schmidt ein Gesuch in der Kirchenzeitung.
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Wie viele Stunden der Tag für Bettina Schmidt wohl haben müsste? 24 sind zu wenig, so viel steht fest. Die Leiterin des Geschäftsbereichs Eingliederungshilfe bei der Diakoniestiftung Weimar Bad Lobenstein feierte nun ihr 40-jähriges Dienstjubiläum.

Von Beatrix Heinrichs

"Lange sitzen und nur darüber reden, was man alles tun könnte, das ist nicht mein Ding", sagt Bettina Schmidt und wippt beschwingt mit dem Fuß, so als wollte sie gleich zur nächsten Aufgabe eilen, die sie auf ihrer To-do-Liste hat. "Manche Idee speichere ich länger auf meiner Festplatte", sagt sie und tippt sich an den Kopf. "Irgendwann kommt der Moment, wo sie zündet und wir sie realisieren können."

Die Idee zum Beispiel für eine inklusive Bäckerei, die 2009 auf dem Gelände der Evangelischen Stiftung Christopherushof in Altengesees entstand und an die heute Café, Hofladen und Molkerei angeschlossen sind. Die Inspiration erhielt Bettina Schmidt, als sie ihre Tochter während eines Auslandsjahres in England besuchte. "Da habe ich das Konzept kennengelernt und war sofort begeistert." In der Backstube in Altengesees, die zum Arbeitsbereich der Werkstätten gehört, sind inzwischen acht tariflich angestellte Bäcker beschäftigt.

Seit 40 Jahren arbeitet Bettina Schmidt im Dienst der Diakonie. Die Vorsitzende des Geschäftsbereichs Eingliederungshilfe Arbeit der Diakoniestiftung Weimar Bad Lobenstein hat als Jugendliche 1985 in der Stiftung Finneck in Rastenburg ein diakonisches Jahr absolviert, bevor sie 1988 nach Altengesees zur Evangelischen Stiftung Christopherushof kam. | Foto: Beatrix Heinrichs
  • Seit 40 Jahren arbeitet Bettina Schmidt im Dienst der Diakonie. Die Vorsitzende des Geschäftsbereichs Eingliederungshilfe Arbeit der Diakoniestiftung Weimar Bad Lobenstein hat als Jugendliche 1985 in der Stiftung Finneck in Rastenburg ein diakonisches Jahr absolviert, bevor sie 1988 nach Altengesees zur Evangelischen Stiftung Christopherushof kam.
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"Vier von ihnen sind schon älter. Sie bringen nicht nur ihre Erfahrungen ein, sondern auch ihre Rezepte aus ihrer Gesellenzeit." Oder die Idee mit den Einzelkelchen fürs Abendmahl, die sie in einer skandinavischen Fernsehserie entdeckte. Eine perfekte Lösung für die Corona-Gottesdienste, habe sie sich gedacht und die Produktion der kleinen Keramikbecher in der Töpferei in Altengesees angeregt.

Das 176 Einwohner zählende Dorf im Thüringer Schiefergebirge ist für sie Lebensmittelpunkt und Wirkungsstätte. Zum Christopherushof kam sie über ein Gesuch in der Kirchenzeitung. In der Ausgabe vom 10. Juli 1988 berichtete Pfarrer Friedhelm Kalkbrenner über die Geschichte der Einrichtung, die Anstrengungen, die man hier mit Blick auf die beeinträchtigten Menschen unternahm, und sandte einen "SOS-Ruf ins Land": "Mitarbeiter gesucht! Wer meldet sich? Die Last der Förderung und Betreuung ruht jetzt noch auf zu wenigen Mitarbeitern", schrieb er. "Lebenspraktische Begleitung, Förderung als Ganztagsprozeß, gestaltete Freizeit in Hobbygruppen, alle diese guten Möglichkeiten können nicht ausgeschöpft werden." Dieser Notruf habe sie angesprochen, erinnert sich Bettina Schmidt, die schon damals Leserin der "Glaube + Heimat" war.

Ein Mitarbeitergesuch veröffentlichte Pfarrer Friedhelm Kalkbrenner in der G+H im Juli 1988. | Foto: Foto: G+H
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"Zu DDR-Zeiten war Altengesees eine Oase für Menschen, die jenseits des sozialistischen Alltags aus eigener Kraft gestalten und etwas bewegen wollten." Das wollte auch sie. Die neuen Möglichkeiten in der Behindertenarbeit nach der Wende sollten ihr später noch größeren Raum dafür geben.
Dabei hätte ihr Lebensweg auch anders verlaufen können. Aufgewachsen ist Bettina Schmidt in Saubach, westlich von Freyburg. In ihrem Elternhaus habe der christliche Glaube keine so große Rolle gespielt, sagt sie.

1988: Hilferuf vom Christopherushof

"Aber zum Dorfleben gehörte die Kirche dazu." Seit der Grundschule habe sie im Posaunenchor gespielt und so die Anbindung ans Gemeindeleben gefunden. "Das Instrument hatte meinem Großvater gehört, ich hatte es auf dem Dachboden seines Hauses entdeckt und wollte spielen." Der Chor habe sie geprägt, erinnert sie sich. "Auf dem Hof meiner Eltern gab es immer etwas zu tun. Da musste auch ich mich als Kind mit einbringen. Der Chor war für mich eine Abwechslung, ein wichtiges Ritual." Doch beim Posaunespielen sollte es nicht bleiben. "In unserer Gemeinde war die Kantorenstelle lange vakant. Da ich Klavier spielen konnte, übernahm ich später auch einige Organistendienste."

Aus dieser engen Verwurzelung im Gemeindeleben mag vielleicht auch der Berufswunsch resultieren, den Bettina Schmidt seinerzeit hatte: Theologie wollte sie studieren. Doch es kam anders. Nach einer Lehre im Bereich Feinoptik bei Carl Zeiss Jena absolvierte sie 1985 ein diakonisches Jahr in der Stiftung Finneck in Rastenberg. Die Erfahrung aber habe ihre Pläne geändert. "Mit schwerst mehrfach behinderten Menschen hatte ich zuvor nicht zu tun. Und nun war ich mit der Frage konfrontiert: Was bedeutet das eigentlich, ein lebenswertes Leben? Das hat mich beschäftigt." Die DDR habe Behinderte, je nach Grad ihrer Beeinträchtigung, entweder in geschützten Arbeitsplätzen in den Betrieben eingesetzt oder nach ihrer Volljährigkeit in Altenheimen untergebracht. "Was da passierte, war keine Förderung, sondern Verwahrung. Die Menschen aber haben ein Recht auf Beteiligung. Es liegt an uns, die Voraussetzungen dafür zu schaffen."

Die Menschen haben ein Recht auf Beteiligung. Es liegt an uns, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Aus dieser Einsicht habe sie sich gegen das Studium und für die "praktische Verkündigung des Evangeliums" entschieden, sagt sie. Nach dem Beginn der Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin in Neinstedt kam sie 1988 nach Altengesees – und ist geblieben. Nach der Wende studierte sie noch einmal, Sozialpädagogik und Sozialbetriebswirtschaft, und brachte sich mit ihren Visionen ein, als 1995 eine neue Werkstatt in Altengesees gebaut wurde. "Man hatte uns damals zu einer Spezialisierung im Bereich der Metallverarbeitung geraten. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass auch der Kreativbereich erhalten und ausgebaut wird. Menschen mit Behinderung können in vielen Belangen nicht wählen, was sie tun. Wenigstens in den Werkstätten sollen sie nach ihren Interessen und Fähigkeiten frei entscheiden dürfen." So wurden neben Korbflechten und Weben die Arbeitsbereiche um die Bereiche Metall- und Holzbearbeitung, Töpferei und Kreativwerkstatt erweitert.

Die Pionierarbeit in Altengesees, das seien intensive Jahre gewesen, auch für ihren Mann und die beiden Kinder, erinnert sich Bettina Schmidt. "In unserer Familie standen die Menschen mit Behinderung an erster Stelle. Den Heiligabend zum Beispiel haben wir viele Jahre immer erst in der Einrichtung gefeiert, bevor es zur Bescherung nach Hause ging." Das sagt sie mit großer Selbstverständlichkeit und ergänzt: "Bei der Geburt unseres ersten Enkelsohns aber hatte ich das Gefühl, Gott schenkt uns eine zweite Chance – als Großeltern."

Für manches braucht es eben langen Atem, das weiß sie. "Natürlich habe ich mit meinen Ideen nicht immer offene Türen eingerannt. Gerade die Bauprojekte erfordern Geduld." Vier Werkstätten und eine Reihe Inklusionsprojekte fallen in ihren Geschäftsbereich. Außerdem ist sie Geschäftsführerin der Diakonie Landgut Holzdorf und der Integrationsfirma Inclusio Weimar. Mit der Fertigstellung des Strohballenhauses in Holzdorf im Mai 2024 konnten die Schulräume des Diakonischen Bildungsinstitutes im Landgut Holzdorf erweitert werden. Ein Meilenstein für das nächste große Projekt, den Aufbau eines inklusiven Bildungshauses, sei damit geschafft.

Bettina Schmidt ist auch Geschäftsführerin der Diakonie Landgut Holzdorf und der Integrationsfirma Inclusio Weimar. Mit der Fertigstellung des Strohballenhauses in Holzdorf im Mai 2024 konnten die Schulräume des Diakonischen Bildungsinstitutes im Landgut Holzdorf erweitert werden. Ein Meilenstein für das nächste große Projekt, den Aufbau eines inklusiven Bildungshauses, sei damit geschafft.
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  • Bettina Schmidt ist auch Geschäftsführerin der Diakonie Landgut Holzdorf und der Integrationsfirma Inclusio Weimar. Mit der Fertigstellung des Strohballenhauses in Holzdorf im Mai 2024 konnten die Schulräume des Diakonischen Bildungsinstitutes im Landgut Holzdorf erweitert werden. Ein Meilenstein für das nächste große Projekt, den Aufbau eines inklusiven Bildungshauses, sei damit geschafft.
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Der Blick, scheint es, ist bei Bettina Schmidt stets nach vorn gerichtet. Und wenn sie doch einmal zurückschaut? "Manchmal höre ich im Gottesdienst eine tolle Predigt und denke: Da hättest du auch stehen können. Aber im nächsten Moment bin ich dankbar dafür, dass Gott mich auf genau diesen Weg gestellt hat."

Bewogen zu einer Bewerbung bei der Stiftung Christopherushof hatte Bettina Schmidt ein Gesuch in der Kirchenzeitung. | Foto: Foto: Beatrix Heinrichs
Ein Mitarbeitergesuch veröffentlichte Pfarrer Friedhelm Kalkbrenner in der G+H im Juli 1988. | Foto: Foto: G+H
Bettina Schmidt ist auch Geschäftsführerin der Diakonie Landgut Holzdorf und der Integrationsfirma Inclusio Weimar. Mit der Fertigstellung des Strohballenhauses in Holzdorf im Mai 2024 konnten die Schulräume des Diakonischen Bildungsinstitutes im Landgut Holzdorf erweitert werden. Ein Meilenstein für das nächste große Projekt, den Aufbau eines inklusiven Bildungshauses, sei damit geschafft.
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Seit 40 Jahren arbeitet Bettina Schmidt im Dienst der Diakonie. Die Vorsitzende des Geschäftsbereichs Eingliederungshilfe Arbeit der Diakoniestiftung Weimar Bad Lobenstein hat als Jugendliche 1985 in der Stiftung Finneck in Rastenburg ein diakonisches Jahr absolviert, bevor sie 1988 nach Altengesees zur Evangelischen Stiftung Christopherushof kam. | Foto: Beatrix Heinrichs
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