Glaubensserie (13): David und Nathan
Vorsicht vor den Guten

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Die Geschichte von König David und dem Propheten Nathan ist exemplarisch für das Christentum. Warum? – Kritik an der Macht gehört zur DNA des biblischen Menschenbilds.

Von Christian Nürnberger

Wenn biblische Erzähler die Welt schildern, wie sie ist, dann tun sie das oft erstaunlich kurz und lapidar. Als ob sie sagen wollten: Wozu viele Worte machen über etwas, das doch immer schon so war, ist und bleiben wird?
Eine dieser lapidaren So-ist-die-Welt-Geschichten geht so: Und es begab sich, dass David um den Abend aufstand von seinem Lager und sich auf dem Dach des Königshauses erging; da sah er vom Dach aus eine Frau sich waschen; und die Frau war von sehr schöner Gestalt.

Natürlich begehrt er sie, will wissen, wer sie ist, lässt Erkundigungen einziehen und erfährt: Sie heißt Bathseba und ist die Ehefrau des Urijas, eines seiner treuesten und tüchtigsten Offiziere. Damit wäre sie also für ihn gleich doppelt tabu. Aber er ist König von Israel. Für einen wie ihn, der sich als Ausnahmemensch wahrnimmt und auch so wahrgenommen wird, gibt es keine Tabus mehr. David lädt Bathseba ein, zu ihm ins Haus zu kommen.

Manche Frau sagt »Nein, danke«. Auch gut. Bei nächster Gelegenheit wird er sich halt mit Gewalt verschaffen, was er haben möchte. Bei anderen ist das nicht nötig. Sie kommen freiwillig. Weil sie geschmeichelt sind, dass ein so Berühmter an ihnen interessiert ist. Weil sie neugierig sind und wissen wollen, wie der privat so ist. Weil sie sich einen gesellschaftlichen Aufstieg davon versprechen. Oder berufliche Vorteile.

Der biblische Erzähler zerbricht sich darüber nicht den Kopf. Bathseba interessiert ihn nicht. Ihm geht es um etwas anderes, daher berichtet er schnell und lapidar weiter: Und David sandte Boten hin und ließ sie holen. Und als sie zu ihm kam, wohnte er ihr bei. … Und die Frau ward schwanger und sandte hin und ließ David sagen: Ich bin schwanger geworden.

Peinlich für beide. Aber der König hat ja alle Macht der Welt, also auch die Macht, das Ganze zu vertuschen. Da er gerade mal wieder Krieg führt, sagt er einem seiner Generale, er soll Urija in diesem Krieg an vorderster Front kämpfen lassen, so lange, bis er fällt. So geschieht es. Danach heiratet David Bathseba.

Es ist fast eine MeToo-Geschichte. Aber eben nur fast, denn es geht nicht um Frauen. Frauen zählten damals ja noch, wie das Vieh, zur persönlichen Habe der Männer. Erzählt wird die Geschichte daher aus rein männlicher Perspektive. Von Feminismus und Emanzipation also noch keine Spur, und doch im Keim schon vorhanden, denn nun folgt das Eigentliche: die Erzählung, wie es sein könnte, sein sollte, und dass nichts so bleiben muss, wie es ist. Und auch, warum David eben doch völlig zu Recht gerühmt und verehrt wird bis zum heutigen Tag.

Aber zunächst sagt die Geschichte: Vorsicht vor den Guten. Dieser David, dieser siegreiche Held, mächtige König, kultivierte Dichter von Psalmen, dieser Diener des Volks Gottes, Urahn von Jesus, ist: ein Schuft. Ein ganz gewöhnlicher Machthaber, Ehebrecher, Mörder, auch nicht besser als all die anderen gewöhnlichen Machthaber dieser Welt.

König David ist als Harfe spielender Psalmdichter bekannt. Mit seinem Machtmissbrauch wird durch Nathan konfrontiert. | Foto: Foto: Renáta Sedmáková – stock.adobe.com
  • König David ist als Harfe spielender Psalmdichter bekannt. Mit seinem Machtmissbrauch wird durch Nathan konfrontiert.
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Doch dabei bleibt es nicht. Nun lässt der Erzähler Nathan auftreten, und damit dreht sich die gewöhnliche Geschichte von Machtmissbrauch ins Ungewöhnliche. Nathan ist ein Prophet. Das allein ist noch nichts Ungewöhnliches. Propheten gab es damals auch bei anderen Völkern, aber dort hatten sie die Funktion von Weissagern und Sterndeutern.

In Israel waren Propheten etwas ganz anderes, was es nirgends gab: Kritiker, so etwas wie Journalisten, die den Mächtigen auf die Finger sahen. Und der Prophet Nathan hatte nun Wind von der Sache mit Bathseba bekommen, weshalb er zum König geht. Womit die Geschichte noch ungewöhnlicher wird, denn der mächtige König David ist gewiss von zahlreichen Hofnarren, Höflingen und Jasagern umgeben, aber eben nicht nur. Zugang zu ihm hat auch der unbequeme, unabhängige, kritische Geist Nathan. Und der erzählt ihm jetzt eine Geschichte:

»Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine hatte sehr viele Schafe und Rinder, der andere nichts als ein einziges Lämmlein, das er gekauft hatte und liebevoll bei sich aufwachsen ließ. Eines Tages erhielt der Reiche Besuch. Die Gastfreundschaft gebot, dem Gast ein köstliches Mahl zuzubereiten. Aber der Reiche war zu geizig, um dafür eins von seinen vielen Schafen oder Rindern zu schlachten. Da nahm der Reiche kurzerhand dem Armen dessen einziges Lamm weg und ließ es schlachten für das Gastmahl.«

David glaubt, Nathan erzähle ihm eine Geschichte von einem seiner Untertanen, und ist empört und poltert los: »Dieser üble Kerl muss sofort mit dem Tod bestraft werden, und vorher muss er das geraubte Lamm dem Armen vielfältig zurückzahlen.«

Da sagt Nathan David ins Gesicht: »Du bist der üble Kerl! Du hast Urija, deinen Hauptmann, in den Tod geschickt, um dessen Frau zu nehmen. Du wirst dafür die gerechte göttliche Strafe erhalten.«
Noch ungewöhnlicher geht es weiter. An jedem anderen Königshof hätte der Herrscher seinen Leuten gesagt: Gebt ihm einen fairen Prozess und dann hängt ihn. David aber reagiert völlig überraschend.

Gesprächsimpulse

Machtmissbrauch gab es zu allen Zeiten und in allen Ländern. Braucht die aktuelle Politik Propheten wie Nathan?

Anerkennen oder abwiegeln: Wie stehen Sie zu eigenem Fehlverhalten? Es ist fast eine MeToo-Geschichte. Aber eben nur fast, denn es geht nicht um Frauen.

Er erschrickt über sich selbst und sagt zu Nathan: »Du hast recht. Ich bin ein Schuft. Ich habe mich an Gott, Urija, Bathseba und unserem Kind versündigt. Ich weiß nicht, wie ich das wiedergutmachen kann. Aber ich bereue es zutiefst.« Woraufhin Nathan sagt: »Weil du deine Schuld eingestehst und sie bereust, wirst du nicht sterben müssen. Aber dein Sohn wird sterben müssen.«
 
So geschieht es. David und Batseba weinen und trauern um ihren Sohn. Aber nach einiger Zeit wird ihnen ein zweiter geschenkt, Salomo. Ein Machthaber, der Kritik zulässt in seinem Land, auch Kritik an sich, geschehenes Unrecht nicht vertuscht, nicht mithilfe von Heerscharen teurer Anwälte alles dementiert, Kritiker nicht verfolgt, einsperrt und umbringen lässt, sondern seine Schuld eingesteht – wann hat es das je gegeben in der Weltgeschichte? Wo auf der Welt gibt es das heute?

Deshalb, weil der Mächtige seine Schuld zugab und echte Reue zeigte, und nicht wegen seiner militärischen Siege, politischen Erfolge, seiner Psalmen und seiner Frömmigkeit ist David ein großer König geworden und zu Recht noch heute berühmt und verehrt.

Seit zweieinhalb Jahrtausenden erzählt uns diese Geschichte: Macht verführt zum Missbrauch. Daher muss man allen Mächtigen kritisch auf die Finger sehen, auch den guten. Auch die Guten sind nicht gefeit davor, irgendwann eines Tages einen falschen Gebrauch von ihrer Macht zu machen. Und dann, wenn auch der Gute ertappt wird, hängt alles davon ab, wie er reagiert.

Reagiert er »normal«, also gewöhnlich, wird die Welt weiter ihren gewohnten Gang gehen. Reagiert er jedoch wider alle Erwartung selbstkritisch und schuldbewusst, ändert sich die Welt, bleibt nichts mehr, wie es immer war, geht es anders zu unter den Menschen, wird das Verhältnis zwischen Mann und Frau ein besseres.

Die Geschichte von David und Nathan erzählt nebenbei auch, wie wenig es bedürfte, dass eben nichts so bleibt, wie es schon immer war. Dieses wenige zu leisten – zuzugeben: Ja, wir haben sechs Millionen Juden umgebracht; ja, es gab einen Genozid an den Armeniern; ja, was wir Russen den Ukrainern derzeit antun, ist ein Verbrechen; ja, wir sind schuld am Klimawandel; oder auch nur ja, ich habe diesen Frauen großes Leid zugefügt –, fällt uns Menschen offenbar unendlich schwer.

Darum ist die Welt heute fast noch immer so, wie sie damals war. Aber eben nur fast. Dort, wo daraus die Konsequenzen gezogen werden, ist es nicht mehr so, wie es schon immer war. Dort, wo die kritische Sicht der Bibel auf die Macht Früchte trug, gibt es heute Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Christian Nürnberger

Der Autor ist Journalist und Publizist.

Nächste Folge: Auszug aus Ägypten, 2. Mose, Kapitel 3

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