Genesis 4
KAIN & ABEL

- hochgeladen von Matthias Schollmeyer
Nachdem der Garten Eden war verdorben,
hat Adam Eva als sein Weib erkannt.
Und als er Lieb und Gunst bei ihr erworben,
gebar sie ihm zwei Knaben. Kain genannt
der eine, Ackerbauer. Und als zweiten
mit Namen Abel - Schäfer auf dem Land.
Die Frucht des Feldes opfernd zu bereiten,
erbaute einen Altar Kain dem HERRN.
Auch Abel brachte von den Herrlichkeiten
der Herden dar, dass er nicht stünde fern.
Die Gabe gnädig an sah Gott dem Abel -
des Bruders Spende aber nicht so gern.
Darob ergrimmte der - erzählt die Fabel -
drum mahnte Gott den Kain: „Was ist mit dir?
Was senkst du deinen Blick in Richtung Nabel,
spürst du die Bosheit lauern vor der Tür?
Du kannst die Augen nicht mehr frei erheben
und scheinst getriebener mir als ein Tier.
Gib acht, die Sünde drängt sich in dein Leben -
du aber solltest s i e beherrschen eben!"
Da sprach zu Abel Kain: „Lass heute gehen
gemeinsam uns in’s schönen Feld hinaus!“
Doch als sie draußen waren, half kein Flehen -
der Bruder macht dem Bruder den Garaus.
Denn Kain erhob sich Abeln dort zuwider
und schlug den Armen tot - und ging nach Haus.
Alsbald fuhr Gott, der HERR, zur Erde nieder
und rief „Wo ist dein Bruder Abel, Kain?“
Der aber antwortete brav und bieder:
„Soll’t ich des Schafetreibers Hüter sein?“
Da sagte Gott: „Ich kenne dein Verbrechen
und hörte meines Hirten Weheschrein.
Der Erde Maul ging auf, mit mir zu sprechen,
nachdem es soff von Abels roter Flut.
An dir will die Erschlagenen ich rächen,
wann immer rinnt von Händen Menschenblut.
Unstetig sei und flüchtig auf der Firne -
doch nimm mein Zeichen unter deinen Hut.“
Dann schrieb Gott Kain zwei Zahlen an die Stirne,
und wies zur Heimat ihm im Osten Not."
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Kain und Abel
Die alte Geschichte von Kain und Abel ist nicht nur eine Episode aus den ersten Kapiteln der Bibel, sie ist ein Spiegel der menschlichen Natur. Zwei Brüder treten vor Gott. Sie bringen Opfer, nicht weil es befohlen worden wäre, sondern weil sie in sich den Drang spüren, das eigene Leben vor dem Forum des Höchsten zu deuten. Und schon hier, am Anfang, zeigt sich der Abgrund: Der eine wird angenommen, der andere nicht.
Was steht dahinter? Es ist erhellend, auf die Namen der Brüder zu hören. Kain heißt im Hebräischen „der Erworbene und der Käufer“. Seine Mutter jubelte: „Ich habe erworben.“ In diesem Jubel steckt bereits der Impuls des Festhaltens, der Aneignung. Kain (Coin, wie die Münze, das Symbol des Erwerbs!) verkörpert den Menschen, der sich selbst sichern will, der die Welt als Eigentum versteht, als Ressource, die man erwirbt und anhäuft. Sein Opfer entspricht genau diesem Geist: Er gibt ab, aber so, dass er dadurch erhalten will. Es ist eine Transaktion, ein Geschäft.
Abel dagegen heißt „Hauch“. Windhauch, Nichtigkeit, Flüchtigkeit. Schon im Namen ist die Ahnung von Vergänglichkeit eingeschrieben. Abel lebt in einer anderen Logik. Was er hat, das gibt er. Er bringt die Erstlinge und das Beste – nicht weil er kalkuliert, sondern weil sein Sein selber Hingabe ist. Abels Opfer ist kein Tausch, sondern Gabe.
Gott „sieht“ Abel, nicht weil er willkürlich bevorzugt, sondern weil dieser Hauch die eigentliche Sprache des Glaubens ist. Der Glaube gibt, ohne zu rechnen; er vertraut, dass das Leben sich hält, wenn man es nicht festhält. Und Kain? Er erlebt, dass sein Opfer nicht gesehen wird. Der Gott des Lebens lässt sich nicht in den Mechanismus des Handelns um Besitz einspannen.
Damit sind wir mitten in der Gegenwart. Wir leben in einer Welt, die kainitisch geworden ist: alles ist Erwerb, Sicherung, Versicherung. Selbst der religiöse Akt droht in den Markt des Tauschens zu geraten: Ich gebe, damit mir gegeben wird. Und doch spüren wir zugleich, wie sehr wir nach der abelschen Leichtigkeit hungern – nach einer Existenz, die nicht klammert, sondern freigibt.
Diese alte Geschichte (Genesis 4,1ff)zeigt uns, wie gefährlich es ist, wenn der Mensch mit seinem Besitzdenken an die Grenze stößt. Kain hält die göttliche Abweisung nicht aus. Aus seiner Kränkung wächst Gewalt. Der erste Mord innerhalb der Menschen-Geschichte ist ein Mord an dem, der frei gibt. Seitdem durchzieht die Geschichte die Versuchung, das Offene, Atemhafte zu zerstören.
Die Geschichte von Kain und Abel gehört zu den Texten des 13. Teinitatis-Sonntags. Jeder von uns trägt sowohl Kain als auch Abel in sich. Wir haben die Sehnsucht nach Aneignung – und wir haben die Fähigkeit zur Hingabe. Es gilt, klug zu entscheiden und uns selbst dabei zu beobachten, aus welchen Motiven wir etwas tun bzw. lassen. Auf jeden Fall sind wir dazu aufgerufen zu beherzigen, nicht die Faust gegen den Bruder zu erheben. Es könnte durchaus sein, dass das, was wir festhalten, zerfällt. Was wir hingeben, bleibt.
Autor:Matthias Schollmeyer |
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