Studiengang für syrisch-orthodoxe Theologie
Heimatgefühl im Klassenzimmer

Reli, syrisch-orthodox: Die Hochschule in Schwäbisch Gmünd bietet die einzige staatliche Ausbildung für Lehrkräfte. | Foto: Foto: epd-bild/Andreas Fischer
  • Reli, syrisch-orthodox: Die Hochschule in Schwäbisch Gmünd bietet die einzige staatliche Ausbildung für Lehrkräfte.
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Freitagnachmittag in der Realschule im Aurain im baden-württembergischen Bietigheim: Etwa 15 Schüler im Teenageralter haben sich in Reihen Richtung Osten aufgestellt und beten das Vaterunser auf aramäisch. Sie gehören zu den etwa 4000 Schülern in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, die syrisch-orthodoxen Religionsunterricht erhalten.

Von Judith Kubitscheck

Lehrerin Linda Kaplan ist selbst syrisch-orthodox. Sie möchte in ihrem Religionsunterricht auch den Schülern Heimat bieten, die ihre Heimat verlassen mussten – beispielsweise weil sie aus Kriegsgebieten aus dem Irak und Syrien geflohen sind. Bewusst wolle sie ein offenes Ohr für deren Sorgen und Ängste haben, sagt sie: «Es ist schade, dass die Zahl der Christen in dem syrisch-orthodoxen Ursprungsgebiet abnimmt. Umso wichtiger ist es, dass wir hier die Möglichkeit haben, unsere Religion, Kultur und Tradition weiterzuführen, dass sie nicht verloren geht – auch unsere Sprache, das Aramäische.»
Aramäisch, das ist die Sprache, die Jesus gesprochen hat, und sie ist die Muttersprache der meisten Schüler, die hier in Bietigheim nördlich von Stuttgart unterrichtet werden. Der 14-jährige Matay kommt aus der Türkei: «Ich bin schon sehr stolz darauf, dass ich die Sprache Jesu spreche», sagt er. Auch seine Klassenkameraden hätten das «cool» gefunden, als sie davon erfahren haben.
Linda Kaplan wird zur Zeit an der Pädagogischen Hochschule (PH) Schwäbisch Gmünd in einem Pilotprojekt ausgebildet: einem Zertifikatsstudiengang für syrisch-orthodoxe Theologie und Religionspädagogik. Er besteht seit Herbst 2021 und ist bundesweit einmalig. Ziel sei, syrisch-orthodoxe Religionslehrer wissenschaftlich auszubilden und ihnen auch pädagogisches Wissen zu vermitteln, erklärt Josef Önder, der verantwortlich ist für den Studiengang. Als staatlicher Studiengang steht er auch Frauen offen, anders als die Religions-Ausbildung in einem Kloster.
Bereits seit Sommer 1994 erhalten syrisch-orthodoxe Kinder ihren eigenen Religionsunterricht. Doch bisher haben ihn ausschließlich Priester oder Diakone erteilt, die in den Klöstern Tur Abdin in der Türkei oder im nordrhein-westfälischen Warburg studiert hatten. Das soll sich mit dem Studiengang an der PH Schwäbisch Gmünd ändern.
Ende Juli schließt Linda Kaplan den Zertifikatsstudiengang ab und ist in Baden-Württemberg und damit auch in ganz Deutschland die erste Frau und studierte Pädagogin, die offiziell an Schulen syrisch-orthodoxen Religionsunterricht lehrt. Sie hoffe, sagt sie, dass aus dem Pilotprojekt ein eigenständiger Erweiterungsstudiengang werden könne: mit einem eigenen Lehrstuhl und mehr Personal, um die theologische und religionspädagogische Forschung und Ausbildung zu vertiefen.
Das wünscht sich auch Josef Önder, der bereits Schulbücher bis zur Klasse 8 entwickelt hat – die ersten syrisch-orthodoxen Schulbücher weltweit. «Damit können Schüler ihren Glauben modern, didaktisch und auf der Höhe der Zeit kennenlernen.» Beispielsweise kommt darin ein Kirchenvater aus dem 13. Jahrhundert zu Wort, der erzählt, was für ihn Freundschaft bedeutet. In einem Auszug aus der Rede eines Erzbischofs aus der Türkei geht es um den Umgang mit der Schöpfung und dem wichtigen Element Wasser.
Önder sagt, dass andere Bundesländer und auch das deutschsprachige Ausland mit Interesse nach Schwäbisch Gmünd schauten. Denn auch in Österreich lässt sich zwar syrisch-orthodoxe Theologie studieren – aber Religionspädagogik, die gebe es bisher nur im Südwesten Deutschlands. In Deutschland leben laut Önder geschätzte 120 000 syrisch-orthodoxe Christen, in Baden-Württemberg etwa 25 000.
Das Ziel des syrisch-orthodoxen Theologen und Erziehungswissenschaftlers ist es, jungen syrisch-aramäischen Christen «die Türe der Theologie und Tradition» zu öffnen und ihnen in Deutschland eine geistliche Heimat zu schenken. «Wir sind als Kirche aus Antiochien eine der ältesten Kirchen überhaupt und haben einen reichen Schatz der Kirchenväter.»
Oft werde er gefragt, ob die Aramäer nicht ausgestorben seien. Er antworte dann immer: «Nein das sind wir nicht, wir leben mitten unter euch und haben hier ein Zuhause gefunden.» Aber die Gefahr bestehe, dass das reiche Erbe der aramäischen Sprache und der Tradition verloren gehe. Und da spiele der Religionsunterricht eine sehr wichtige Rolle: «Deshalb ist es ein Segen für uns hier in Deutschland, dass wir syrisch-orthodoxe Religionslehre an staatlichen Schulen unterrichten können.»

 (epd)

Autor:

Online-Redaktion

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