Bach-Passionen
Evangelium trifft Aktionismus

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Immer wieder wird Bach Antisemitismus vorgeworfen – insbesondere im Zusammenhang mit seinen Passionsvertonungen nach Matthäus und Johannes. Der Vorwurf begründet sich daraus, Bach hätte die von Martin Luther herrührende Judenfeindlichkeit aufgegriffen und beispielsweise die „Juden-Chöre“ besonders aggressiv vertont.
Von Peter Kopp
Es ist richtig, auch herausragende Kunstwerke wie die Passionen von Bach kritisch zu betrachten, denn dies ist ein Ausdruck der Wertschätzung. In diesem Fall halte ich den Diskurs jedoch für verfehlt. Hinterfragt werden vor allem die Texte der Evangelien, in denen die Juden (oder Jüden, wie sie bei Johannes in Luthers Übersetzung heißen) in ein schlechtes Licht gerückt werden. Die Beurteilung der musikalischen Umsetzung, die übrigens außer Bach unzählige Komponisten vorgenommen haben, ist nachgeordnet und lenkt vom Kern des Themas ab.
„Wie, wenn nicht aggressiv und aufgeheizt, sollte denn sonst das ‚Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn!‘ klingen? Etwa als freundliches Dreitaktakt-Andante, in Dur und ohne Dissonanzen?“
Die kritische Betrachtung sollte sich daher stärker auf die biblischen Quellen und deren historische sowie theologische Auslegung konzentrieren. Diese Auseinandersetzung findet längst statt: Über die Schriften des Neues Testaments - immerhin einer der Grundsteine des Christentums - wird ein lebendiger Diskurs in Theologie, Geschichte, Sprachwissenschaft und nicht zuletzt unter den Gläubigen in den Gemeinden geführt. Es bereitet keine Schwierigkeit, sich über neue Erkenntnisse, Interpretationen und Sichtweisen zu informieren.
Bach vorzuwerfen, er hätte die den Juden in den Mund gelegten Textpassagen wie „Kreuzige ihn“ oder „Sein Blut komme über uns und unsre Kinder“ mit einer besonders judenfeindlichen Attitüde versehen, halte ich für Unsinn. Wie jeder Komponist versucht auch er, die Intention des Textes so authentisch wie möglich umzusetzen. Wie, wenn nicht aggressiv und aufgeheizt, sollte denn sonst das „Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn!“ klingen? Etwa als freundliches Dreitaktakt-Andante, in Dur und ohne Dissonanzen? Übrigens empfinde ich die „Kreuzige“-Chöre der Matthäus-Passion sogar eher als beherrscht und symbolhaft konstruiert denn als leidenschaftlich-mordlüstern.
In den über 100 Aufführungen beider Passionen, an denen ich als Chorsänger, Instrumentalist oder Dirigent an vielen Orten in der Welt beteiligt war, ist mir nie der Gedanke an Judenfeindlichkeit aufgekommen, auch wenn mir die betreffenden Passagen schon als Knabenchorist aufgefallen waren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in einem der Hörer oder Mitwirkenden durch diese Aufführungen ein anti-jüdisches Gefühl aufgekommen ist. Die an jeden von uns gerichtete Verheißung des Evangeliums, besonders nah zu erleben in den Chorälen, überstrahlt doch weit die religiösen und historischen Schuldzuschreibungen. Das ernsthaft interessierte Publikum ist zudem mündig genug, historische Texte einzuordnen.
Antijudaismus und andere Formen von Rassismus gehören nicht in das Weltbild, an dem wir uns als Christen geistlich orientieren. Diese ausgerechnet in Musikwerken vergangener Jahrhunderte ausmachen zu wollen, halte ich für übertriebenen Aktionismus.
Der Autor ist Rektor der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik in Halle.
Autor:Online-Redaktion |
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