Blickwechsel
Herrnhut: Der Schatten auf dem Stern

Sklaverei und Mission: Auf der Karibikinsel St. Thomas bewirtschaftete die Brüdergemeine Zuckerplantagen. | Foto: stock.adobe.com/SCStock
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Kurz vor Weihnachten überraschte der "Spiegel" seine Leser mit einem kritischen Beitrag zur Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine. Der Zeitpunkt war gut gewählt, erfreuten doch in jenen Tagen die beliebten Herrnhuter Sterne vielerorts die Menschen.

Von Andreas Fincke

Dieser weltweit bekannte Stern hat seinen Ursprung in der Herrnhuter Brüdergemeine, die auch für ihre täglichen Losungen bekannt ist. Aber welcher Schatten könnte auf die kleine und rege Freikirche fallen?

Wie so oft sind es Spuren der Vergangenheit, die uns nachdenklich stimmen. Was war geschehen? In den 1720er-Jahren bemühte sich Nikolaus Ludwig von Zinzendorf um die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen aus Mähren. Diese gründeten schon bald die Siedlung Herrnhut, heute im sächsischen Landkreis Görlitz gelegen. Im Sommer 1727 wurde die Herrnhuter Brüdergemeine registriert, und schon fünf Jahre später brachen die ersten Brüder in weltweite Missionsgebiete auf. 1738 erwarben Missionare der Herrnhuter Brüdergemeine auf der dänischen Karibikinsel St. Thomas eine Plantage – einschließlich der dort arbeitenden Sklaven. Das war seinerzeit nicht ungewöhnlich, konnte doch die schwere und kraftzehrende Arbeit auf den Plantagen nur mithilfe rechtloser und ausgebeuteter Sklaven bewältigt werden. Jedoch wurden die christlichen Missionare mit dem Kauf der Plantage selbst Teil der Kolonialgesellschaft. Finster sind die wenigen Berichte, die vom Leid der Entrechteten zeugen. Sie wurden gegen ihren Willen getauft, körperlich misshandelt und geschlagen. In einem zeitgenössischen Bericht lesen wir, dass der Verwalter einer Plantage „in der einen Hand mit der Peitsche und in der anderen Hand mit dem Evangelium“ sein Amt „vortrefflich“ ausführte.

1738 besuchte Zinzendorf die Missionsgebiete und forderte die Sklaven auf, ihren weltlichen Status zu akzeptieren. Es kann nur spekuliert werden, ob die Herrnhuter Brüder wenigstens den inneren Widerspruch zwischen ihrer Vorstellung einer spirituellen Gleichheit aller vor Gott und der sozialen Ungerechtigkeit im Alltag empfunden haben. Öffentlich predigten sie jedoch den Status quo der Kolonialbeamten. Weil „es von Gott kommt, daß ein Mensch ein Herr und der andre ein Sklave ist, und sie daher mit Gottes Wegen zufrieden sein müssen“.

Noch vor wenigen Jahren wurde in einer Publikation unterstellt, die Herrnhuter Missionsstationen seien „Inseln der Menschlichkeit“ in einer Welt der Sklaverei und wirtschaftlicher Ausbeutung gewesen. Diese beschönigende Darstellung kann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Eine grundlegende Untersuchung aus dem Jahr 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass das Leben der versklavten Menschen in der Mission der Brüdergemeine zwar nicht mit den schlimmsten Auswüchsen des karibischen Plantagensystems gleichgesetzt werden kann, aber dennoch durch harte Strafen und die ständige Gefahr einer Trennung von der Familie durch Weiterverkauf gekennzeichnet war.

Die dunkle Vergangenheit wurde lange verschwiegen. Erst im Jahr 2013 bat die Brüdergemeine um Vergebung für das Leid, welches den Versklavten angetan wurde. „Beschämt stehen wir vor diesem Aspekt unserer Geschichte und bitten die Nachfahren der zu Sklaven gemachten Schwestern und Brüder um Vergebung und Neuanfang“, erklärte seinerzeit die Leitung der Freikirche.

Um Aufarbeitung der Geschichte bemüht sich auch das „Völkerkundemuseum Herrnhut“, dessen Sammlungen ebenfalls auf die Missionstätigkeit ab 1732 zurück gehen. Derzeit wird die Hauptausstellung umgebaut. Wie es heißt, bemüht man sich um eine Neukonzeption unter besonderer Berücksichtigung von Kolonialismus und Sklaverei. Dabei wird auch das Ausstellungsstück Nr. 66585 seinen Platz finden müssen: Eine eiserne Sklavenfessel.

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