Bartning-Notkirche № 9
Die Friedenskirche Stralsund

- Friedenskirche Stralsund
- Foto: Klugschnacker, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3901100
- hochgeladen von Holger Zürch
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind in Deutschland im Jahr 1945 zahlreiche Kirchen beschädigt oder zerstört. Zugleich kommen als Folge des Zweiten Weltkriegs mehr als 4,3 Millionen Vertriebene in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ, ab 1949: DDR). Die meisten von ihnen sind katholischen oder evangelischen Glaubens – und suchen eine neue Heimstatt für ihren Glauben. Was also tun?
Ein Versuch der Problemlösung sind die sogenannten „Notkirchen“ oder Bartning-Kirchen. Um diese Bauwerke in Mitteldeutschland und darüber hinaus geht es in dieser kleinen Serie. Heute als Abschluss: die Friedenskirche Stralsund, eine jener Bartning-Notkirchen.
Die Friedenskirche Stralsund ist eine evangelische Kirche in Stralsunds Stadtteil Franken am Voigdehäger Weg 8a. Sie wurde ab 1950 errichtet und 1951 eingeweiht. Das Gotteshaus entstand als sogenannte Notkirche nach Bauplänen von Otto Bartning.
Geschichte
Pläne zur Errichtung einer Kirche der Kirchengemeinde St. Jakobi/Heilgeist für die Frankensiedlung gab es bereits beim Ausbau dieses Stadtgebietes.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Pläne umgesetzt. Aufgrund der starken Zerstörungen an der Jakobikirche beim Bombenangriff auf Stralsund am 6. Oktober 1944 benötigte die Gemeinde neue Räumlichkeiten für ihre Gottesdienste.
In den Jahren 1950 bis 1951 wurde im Notkirchenprogramm die Friedenskirche im Voigdehäger Weg nach Bauplänen von Otto Bartning errichtet. Die Einweihung fand am 22. Juli 1951 statt.
Die Friedenskirche entspricht, leicht abgewandelt, Bartnings „Notkirchen“-Grundentwurf „Typ B, ohne gesonderten Altarraum“. Die hölzerne Tragwerkskonstruktion ist innen frei sichtbar, beginnt am Fundament und endet am Dachfirst. Die Außenmauern bestehen aus unverputzten Abbruchziegeln von Kriegsruinen in Stralsund.
Ende der 1970er Jahre wurde das Pfarrhaus gegenüber der Friedenskirche gebaut.
Seit Dezember 2016 ist das Gebäude in die Liste der Baudenkmale in Stralsund eingetragen.
Bartning-Kirchen
Die Bartning-Notkirchen entstanden aufgrund des Kirchbauprogramms des Evangelischen Hilfswerks, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Architekt Otto Bartning (1883– 1959) entwickelte.
Das Programm hatte zum Ziel, den Mangel an gottesdienstlichen Räumen zu lindern. Ursachen waren die Zerstörung vieler Kirchen im Zweiten Weltkrieg und der Zuzug von Millionen christlichen Flüchtlingen aufgrund der Vertreibung aus deren Heimat.
Finanziert haben diese Gotteshäuser der Weltrat der Kirchen in Genf, die Lutheran World Federation, die Evangelical and Reformed Church, die Presbyterian Church und das Schweizer Hilfswerk – die Kosten pro Gotteshaus betrugen jeweils 10.000 US-Dollar.
Otto Bartning entwarf einen Modellraum in Leichtbauweise aus vorgefertigten, genormten Einzelteilen. Die Notkirchen, für die er auf einen Entwurf von 1922 zurückgriff, haben als Besonderheiten ein sogenanntes Fensterband im Obergaden und das an einen Schiffsbauch erinnernde Kirchenschiff.
Dank der Fertigbauteile und der Mitarbeit der Gemeinde kostete der Bau einer Bartning-Kirche nur etwa die Hälfte dessen, was damals ein Kirchenbau in Massivbauweise gekostet hätte. In einer solchen Kirche finden zwischen 350 und 500 Gottesdienstbesucher Platz. Integriert waren meist eine Sakristei und ein abtrennbarer Gemeinderaum unter der Empore.
Das benötigte Holz für das zeltförmige Tragwerk, die Einbauten und das Gestühl stieten überwiegend Gemeinden in Skandinavien oder den USA. Das tragende Gerüst aus sieben hölzernen Dreigelenkbindern wurde in wenigen Tagen auf dem von der Kirchgemeinde zu errichtetem Fundament aufgestellt. Von da an organisierte die Kirchgemeinde alles Weitere selbst.
Das Grundmodell ließ sich leicht lokalen Bedürfnissen anpassen. Für die nichttragenden Wände wurden oft Trümmersteine verwendet. Der Kirchturm wurde häufig seitlich an der symmetrischen Westfassade angesetzt.
Es gab zwei Typen dieses Kirchenbaus: Typ A mit Spitztonnengewölbe und gemauertem Altarraum – er wurde wegen der aufwendigeren Dachkonstruktion nur zweimal errichtet. Den Typ B als „Saalkirche mit Satteldach“ gab es mit drei verschiedenen Chorabschlüssen: mit polygonalem Altarraum, mit angemauertem Altarraum oder ohne gesonderten Altarraum.
Entstanden sind 41 Gotteshäuser vom Typ B, zwei davon wurden später an einen anderen Ort umgesetzt. Zwei der Bartning-Kirchen – die in Aachen und in Düsseldorf – wurden später abgebrochen; von der Notkirche in Hannover-List wurden die Binder in einer anderen Kirche wiederverwendet.
Bartning-Kirchen galten – anders als es die Bezeichnung „Notkirche“ vermuten lässt – von Anfang an keineswegs als Provisorien. Das zeigt sich auch daran, dass in den vergangenen Jahrzehnten Denkmalschutzbehörden in einigen Fällen den Abriss einer solchen Notkirche wie auch den Bau eines Nachfolge-Gotteshauses verhindert haben.
Bartning-Kirchen in der DDR
Auf dem damaligen Gebiet der DDR entstanden als Bartning-Notkirchen folgende Gotteshäuser: Gnadenkirche Chemnitz-Borna, Friedenskirche Dresden-Löbtau, Trinitatiskirche Leipzig-Reudnitz, Justus-Jonas-Kirche Nordhausen-Salza, Johann-Sebastian-Bach-Kirche Forst, Offenbarungskirche Berlin, Neue Kirche Wismar, Johanniskirche Rostock sowie diese Kirche. Hinzu kam im Jahr 1950 als Bartning-Diasporakapelle die Cyriakkapelle Erfurt.
Kirchengemeinde
1952 erfolgte die Gründung einer eigenen Gemeinde. Die Friedensgemeinde schloss sich 2001 mit der Gemeinde der Kirche Voigdehagen zur Kirchengemeinde Frieden/Voigdehagen zusammen. 2009 folgte die Zusammenlegung zur Kirchengemeinde Heilgeist/Frieden/Voigdehagen.
Die Gemeinde gehört seit 2012 zur Propstei Stralsund im Pommerschen Evangelischen Kirchenkreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Vorher gehörte sie zum Kirchenkreis Stralsund der Pommerschen Evangelischen Kirche.
Koordinaten: 54° 17′ 14,8″ N, 13° 5′ 41,7″ O
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedenskirche_(Stralsund)
(dort auch Verzeichnis der Autoren; Textnutzung entsprechend Creative Commons CC BY-SA 4.0)


Autor:Holger Zürch |
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