Freitag, vor eins ...
Unsere Seite 1 - Das Leben ist nicht Bullerbü

G+H Nr. 37  vom 13. September 2020 | Foto: G+H

Wer Michel liebt,  der mag auch Pippi, hat vielleicht Bekanntschaft mit Kalle und Karlsson gemacht und ist mit Ronja durch den Mattiswald gestreift. Und dann ist da noch dieses kleine Mädchen aus der Krachmacherstraße. Kennen Sie es? 

1958 war es, als Lotta das Licht der Kinderbuchwelt von Astrid Lindgren erblickte. Sie war so etwas wie die Conni ihrer Zeit - nur eben cooler. Gleich ihrer literarischen Schwester kann Lotta Rad fahren, zum Zahnarzt gehen, umziehen, eine Bahnreise unternehmen, das Weihnachtsfest retten - kurzum: Lotta kann fast alles. Genau, wie es einer der Buchtitel verheißt. Mit ihren fünf Jahren ist sie zwar noch klein, aber eigentlich schon ganz groß. Nur dumm, dass ihre Eltern und die großen Geschwister Mia und Jonas das nicht so sehen. Aber egal, was passiert - und Lotta hat so einiges an Schabernack im Kopf - das 50er-Jahre-Kleinstadtidyll der Eltern hebt der Unfug des Mädchens längst nicht aus den Angeln. Das ist ein buchstäblich "geschriebenes" Gesetzt in Astrid Lindgrens Kinderbüchern. Ihre Figuren sind Charaktere, noch bevor sie zu ihnen heranwachsen. Die Philosophie: Das Kind darf nicht nur Kind sein - es ist Mensch. Und es hat wie die Großen auch das Recht darauf, sich ganz selbstverständlich auszuprobieren. Nur so lässt sich schließlich etwas über das Leben lernen. Das gelingt mal, und ein anderes Mal eben nicht. Ein barmherziges Lächeln der Mutter, ein ernstes Wort nebst Augenzwinkern vom Vater und damit lässt es die Autorin gut sein - sieht man mal vom störrischen Räubervater Mattis ab.

Ob Krachmacherstraße, Lönneberga oder Bullerbü: Lindgren vorzulesen, befriedet mit der Welt - und eben doch nicht. Wenn es nur so einfach wäre! Kein Dach, unter dem nicht schon einmal das kindliche "Ausprobieren" elterlichen Ärger verursacht hätte. Was dann folgt: Schimpfen, Tränen, Frust. Nix war's mit Schweden-Idyll. So what, macht euch mal locker, sagt Lars Mandelkow und bringt es auf einen Satz: "Das Leben ist nicht Bullerbü."  Der Therapeut ist Autor des Buches "Der Bullerbü-Komplex". Seine Botschaft: Wer dem heilen Familienbild aus den Büchern der Ausnahmeschriftstellerin nachrennt, der kann einfach nur scheitern. Das Problem von Bullerbü sei, dass es keine Probleme kennt, sagt Mandelkow in einem Interview mit dem Magazin "family". Die heile Familienwelt sei eben eher eine Sehnsucht, denn Realität. Der Vater von vier Kindern wird das sicher auch aus eigener Erfahrung wissen. Statt nach Perfektion zu streben, sollten Eltern lernen, sich im Alltag mit ihren Kindern mit etwas Durchschnittlichem zu arrangieren. Und nicht nur das. Um zufriedener zu leben, sollten sie den Durchschnitt sogar richtig gut finden. Getreu dem Motto: Ganz gut ist gut genug. Klingt nach profaner Küchentisch-Psychologie. Ist aber keine. Mandelkow wäre nicht Theologe, wenn er seine Überlegungen nicht auf ein christliches Fundament stellen würde. Der Schlüssel zum entspannten Familienglück trägt die Aufschrift "Gnade". Im Angesicht aller Unvollkommenheit, gnädig gegenüber ihren Kindern und auch sich selbst zu sein, sagt Mandelkow, sei die wichtigste Aufgabe, die Eltern hätten.

Voilà, schon sind wir entkomplexisiert - und wieder bei Bullerbü und Co. Wer nämlich ganz genau hinschaut, wird bei Lindgren nicht nur viel unerreichbar heile Welt finden, sondern auch etwas von der elterlichen Gnade und Barmherzigkeit, die Mandelkow meint. Die entfaltet sich, und das ist so wunderbar an Lindgren, selbst in den kompliziertesten Familienbanden - siehe Mattis.  

Die echten Experten in Sachen Gnade und Barmherzigkeit sind in vielen Kirchengemeinden die Ehrenamtlichen. Ohne sie ginge so manches nicht  - auch nicht in der Verkündigung. In der aktuellen Ausgabe beleuchten wir ihr Engagement. Gute Lektüre!

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  • Was Prädikanten so machen: Der eine wird demnächst sein Examen im Kirchlichen Fernunterricht der EKM (KFU) absolvieren. Die andere hat vor 34 Jahren den KFU erfolgreich abgeschlossen und ist als ordinierte Prädikantin im Kirchenkreis Weimar tätig. Ein Erfahrungsaustausch. 
  • „Ich muss raus“: Der Weg zum Glauben führte Bärbel Hamal über einen schweren Schicksalsschlag. Bei einem nächtlichen Spaziergang am Meer in Jaffa fasst die Geraer Schneidermeisterin dann einen Entschluss, der ihrem Leben eine entscheidende Wendung gibt. 
  • Mit Bike und Bibel: Christlich leben im Spannungsbogen von Alltag und Visionen – Anna und Erik Reppel unternehmen den Versuch. Mit den Ehrenamtlichen ihres Pixel-Sozialwerks schaffen sie in den Plattenbausiedlungen der Stadt Freizeitangebote für Kinder.

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Autor:

Beatrix Heinrichs

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