Kommentar von Thorsten Dietz
Ist Gott queer?

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Für die meisten Menschen auf dem Kirchentag in Nürnberg war dieser ein Fest des Glaubens. Für Zündstoff sorgte die Abschlusspredigt. Ihre zentrale Botschaft war hart. Der schwarze Pastor Quinton Ceasar sprach aus, was viele nichtweiße Menschen in Deutschland denken: „Wir vertrauen Eurer Liebe nicht. Wir haben keine sicheren Orte in Euren Kirchen.“

Damit widerspricht Ceasar nicht nur Fremdenhass. Er kritisiert auch Kirchen, die für sich in Anspruch nehmen, Fremden mit Nächstenliebe zu begegnen. Dem hält er entgegen: Schwarze sind keine Fremden, sie sind auch Kirche. Ich persönlich fand diese Zuspitzung sehr wichtig. Wenn wir an die befreiende Liebe Jesu glauben, die allen gilt und niemanden ausgrenzt, dann müssen wir in den Köpfen auch Bilder überwinden, in den weiße Menschen normal sind und Fremde aus Nächstenliebe integrieren. Schön, dass der Kirchentag den Mut hatte, mit einer so herausfordernden Botschaft zu schließen! Leider gab es bislang kaum Diskussionen über diesen Impuls. Stattdessen gab es viel Kritik an einer anderen Aussage: „Gott ist queer“. In vielen Foren auf den Kirchentag wurde ausführlich besprochen, dass queere und nichtweiße Menschen ähnliche Formen von Ausgrenzung kennen. Mit diesem kleinen Satz sagt Ceasar: Gerechtigkeit ist unteilbar. Wir alle sind Kirche.

Aber was soll „Gott ist queer“ bedeuten? Das Wort queer ist mehrdeutig. Einst war es im Englischen ein Schimpfwort, vergleichbar mit dem deutschen „pervers“. Seit vielen Jahren wird es von den so Beschimpften positiv als Selbstbezeichnung genutzt. Umgangssprachlich gilt queer heute oft als Sammelbegriff für alle, die lesbisch, schwul oder trans sind. Manche empörten sich daher über diese Aussage und empfanden sie als einen Satz, der Gott einengt und Menschen ausgrenzt. Im Kontext der neueren Debatte steht das Wort queer vor allem für die Kritik an feste Normalitätsidealen. Queer ist ein Gegenbegriff zu patriarchalischen Rollenvorstellungen, in denen Männer mehr zählen als Frau.

Queer stellt die strikte Aufteilung aller Menschen in männlich oder weiblich ohne Sinn für Ausnahmen in Frage. Queer ist die Zurückweisung einer Vorstellung, für die Heterosexualität normal und alles andere pervers ist. Queer bedeutet dann: Anders ist normal. In der neueren Theologie wird auf das biblische Zeugnis von Gott verwiesen: „Gott bin ich, nicht ein Mann“, heißt es in Hosea 11,9. Gott stehe jenseits der Geschlechterdifferenz. Er ist weder männlich noch weiblich. Und zugleich sind Männer und Frauen zu seinem Bild geschaffen (Genesis 1,27), alle Menschen spiegeln etwas wider von Gottes Wesen.

Genau das meint der Satz „Gott ist queer“. Gott passt nicht hinein in unsere Schubladen. Gott steht jenseits der binären Geschlechterlogik und ist uns nahe zugleich. Darum war diese Aussage für viele queere Menschen so tröstlich. Wenn sie zum Bilde Gottes geschaffen sind und Gott queer ist, dann sind sie bei Gott zuhause, anders, als sie es oft in vielen Kirchen erfahren.

Ceasar hat in dieser Predigt ausdrücklich diejenigen ins Zentrum gestellt, die vielfältige Ausgrenzungen in Gesellschaft und auch Kirche erfahren haben. Er hat das so klar und eindeutig verkündigt, wie man es in Kirchen selten erlebt. Und er stellt uns vielen eine Frage: Sind wir bereit für eine Kirche, in der nicht nur alle willkommen sind, sondern in der ausdrücklich auch einmal die in die Mitte gestellt werden, die so oft übersehen werden? Können wir uns mit ihnen freuen? Oder können wir wenigstens respektvoll darüber diskutieren?

Der Autor ist evangelischer Theologe bei der Reformierten Kirche in Zürich und Privatdozent an der Universität Marburg .

Autor:

Willi Wild

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