Westfalen-Synode ohne Kurschus
Aschenbrödel der EKD-Kirchen

Foto:  epd-bild/Detlef Heese

Schwierig: Wenige Tage nach dem Rücktritt ihrer leitenden Geistlichen Annette Kurschus trat die Synode der Kirche von Westfalen in Bielefeld zur Herbsttagung zusammen.

Von Wolfgang Thielmann

Der jähe Verlust der Präses liegt wie ein Alpdruck auf allen Diskussionen. Arne Kupkes Wiederwahl steht bevor. Er ist juristischer Vizepräses der Kirche. Doch Kupkes Name verbindet sich mit dem Rücktritt. Er war einer der engsten Berater von Annette Kurschus. Zusammen mit ihr hat sich Kupke mit seinem Kurs durchgesetzt und Missbrauchsvorwürfe, die Anfang des Jahres bekannt wurden, nicht bekannt zu machen.
Der Missbrauch soll im südwestfälischen Siegen stattgefunden haben, wo Kurschus aufwuchs und wo ihre Karriere begann. Sie kannte den Beschuldigten, sie kannte ihn sehr gut, wie sie erst allmählich durchsickern ließ. Die verwaiste Synode muss ein Trauma bewältigen. Aber es geht noch nicht. Statt Kurschus hat in der Mitte des Präsidiums ihr Vertreter Platz genommen, der theologische Vizepräses Ulf Schlüter. Er soll früh die Offenlegung der Vorwürfe gefordert haben.
Am Abend zuvor hat sich Kupke mit einer launigen Rede präsentiert. Da wäre Zeit gewesen für Fragen und Kritik: Warum um alles in der Welt hat Kupke den Geheimhaltungskurs durchgesetzt, der die Präses das Amt kostete? Niemand ergriff das Wort. Er selbst verwies nur auf eine „deutliche Differenz“ mit seinem Kollegen Schlüter über den Weg der Missbrauchsaufarbeitung. Das habe man in der Zeitung lesen können.
Tags zuvor brauchte die Synode Traumabewältigung hinter verschlossenen Türen. Die offene Aussprache im großen Kreis soll aber so offen nicht gewesen sein. Es gab eine Erklärung. In der bedauert die Synode Kurschus’ Rücktritt zutiefst. Das Papier bittet alle Betroffenen eines möglichen Missbrauchs um Verzeihung. Das sind neue Töne. Um Verzeihung hat Kurschus nicht gebeten. Sie hatte den Missbrauch zur Chefinnensache erklärt, als sie zur EKD-Ratsvorsitzenden gewählt wurde. Das hat die Fallhöhe gesteigert, als sie Informationen nur scheibchenweise preisgab. Sie gehe im Reinen mit Gott und sich selbst, hatte sie vor ihrem grußlosen Abschied gesagt – eine theologisch kühne Geste.
Unterschätzt man in Westfalen die Öffentlichkeit? Kurschus hat die Theologie groß und die Öffentlichkeitsarbeit klein gemacht. Sie habe es nicht so mit der Presse, sagte sie gelegentlich. Medien waren für sie ein fremdes Gelände. Lange fiel ihr Fremdeln mit der Öffentlichkeit kaum auf. Denn es ging einher mit einem Bedeutungsverlust der Kirchen. Sie wurden weniger gefragt und hätten sich mehr um Öffentlichkeit bemühen müssen. Im 15-köpfigen EKD-Rat wuchs Kritik an Alleingängen und spärlicher Information. Über die Missbrauchsvorwürfe informierte Kurschus den Rat erst kurz vor der Synode der EKD, als sie wusste, dass die Siegener Zeitung sie veröffentlichen würde.
Vielleicht hat ihre Herkunft aus der westfälischen Kirche die Entwicklung befördert. Denn Westfalen ist das Aschenbrödel unter den evangelischen Landeskirchen. Zwar ist die westfälische Kirche die viertgrößte der 20 Landeskirchen nach Hannover, dem Rheinland und Bayern. Und sie hat viel zu bieten: Sie umfasst mit Bethel und dem Johanneswerk die beiden mit Abstand größten diakonischen Unternehmen in Deutschland. Die Posaunenchorbewegung hat hier eine Wurzel.
Aber Westfalen ist eine Kirche der kleinen Städte und ländlichen Räume – und der ebenfalls wenig geliebten Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts. Die Zentren der Kirche heißen Siegen, Dortmund, Bochum, Münster, Minden und Bielefeld. Und Gütersloh, der Sitz des Bertelsmann-Medienkonzerns. Sein Gründer Carl Bertelsmann kam aus der Erweckungsbewegung und begann, deren Schriften zu drucken. Doch längst hat sich der Konzern von seinen kirchlichen Ursprüngen gelöst.
Die pietistische Frömmigkeit des Sieger- und des Sauerlandes gilt als engherzig und gesetzlich, sie ist kirchenkritisch und ganz wenig karriereorientiert. Deshalb findet sie sich kaum in Kirchenleitungen und an Universitäten. Doch ihre Anhänger tragen bis heute kirchliches Leben am Ort. Vielleicht bietet also Westfalen mit seiner ländlichen Orientierung wenig Raum für das Bewusstsein, dass die Kirche eine öffentliche Sache vertritt und die Öffentlichkeit suchen muss.

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Autor:

Online-Redaktion

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