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Spät berufen - Wolfgang Ehrles langer Weg zur Priesterweihe

Wolfgang Ehrle in der Kirchengemeinde Christkönig in Augsburg | Foto: epd-bild/Erich Nyffenegger
  • Wolfgang Ehrle in der Kirchengemeinde Christkönig in Augsburg
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Wolfgang Ehrle wird 50 sein, wenn er im kommenden Jahr zum katholischen Priester geweiht wird. Die Geschichte eines Spätberufenen.

Von Erich Nyffenegger (epd)

Als Kind steht Wolfgang Ehrle unten im Hobbykeller des Elternhauses im bayerischen Niederstaufen an einem improvisierten Altar, um ihn versammelt fast die ganze Familie: Halb belustigt und halb gelangweilt nimmt sie am «Gottesdienst» teil, den der kleine Wolfgang mit heiligem Ernst feiert, wie seine Schwester Caroline sich erinnert. Der Junge kennt die Messe aus der Dorfkirche St. Peter und Paul, die ungefähr 250 Meter die Straße runter steht. Ehrle ist dort Ministrant.

Später arbeitet er erst als Kaufmanns-Lehrling am Schraubenregal, fährt schließlich mit seinem Dienstwagen durch die Schweiz und verkauft für ein Sanitär-Unternehmen Bäder an Hotels, verdient reichlich Geld.

Und heute? Heute sitzt Wolfgang Ehrle auf der Terrasse des Pfarrhauses der Kirchengemeinde Christkönig in Augsburg und erzählt von allem, als seien sämtliche Stationen seines bisherigen Lebens nur Haltepunkte auf seinem Weg hierher gewesen: Im Mai wurde er zum katholischen Diakon geweiht, mit 49. Und ist fest entschlossen, auch noch den nächsten Schritt zu gehen: gemeint ist die Priesterweihe im kommenden Jahr.

«Pfarrer bin ich dann aber immer noch nicht», erklärt er. «Dann kommen noch vier Jahre als Kaplan.» Der Geistliche wird also voraussichtlich Mitte 50 sein, bis jemand kirchenrechtlich korrekt «Herr Pfarrer» zu ihm sagen darf. «Niederschwellig ist was anderes», sagt Ehrle trocken und nimmt einen Schluck aus seinem Wasserglas.

Sein Gesicht wird durch ein markantes Grübchen am Kinn abgeschlossen, die braunen Augen schauen meist freundlich, er lacht viel. Ehrle hat sich den Primiz-Spruch «Ausgesendet zu allen Geschöpfen» ausgesucht. Wer zu allen Geschöpfen gehen wolle, tue gut daran, sich möglichst nicht von diesen abzugrenzen, sagt er.

Die Primiz ist der erste Gottesdienst, den ein neu geweihter Priester in seiner Heimatgemeinde hält. Zu Hause in Niederstaufen freuen sich die Mitglieder der Kirchengemeinde schon auf diesen Tag, wie Roswitha Richter-Gottschalk sagt, die Vorsitzende des Pfarrgemeinderats. Sie kennt Wolfgang Ehrle schon lange. «Priester sein wollen, das war schon ganz früh ein Traum von ihm», sagt sie.

Sie habe großen Respekt vor seiner Entscheidung. Noch ein Studium in dem Alter zu beginnen, sei bewundernswert. Und was zeichnet ihn ihrer Meinung nach aus? «Er ist griffig und greifbar», erklärt Roswitha Richter-Gottschalk. Er werde ein bodenständiger Seelsorger sein und kein abgehobener Würdenträger. «Einfach da, bei de Leut .» Und auch jemand, der kritisch mit sich und seinem künftigen Arbeitgeber umgehen werde. Das sieht auch seine Schwester Caroline so, die ihn - ebenso wie seine drei weiteren Geschwister - unterstützt.

Kürzlich hat Ehrles Bischof Bertram Meier am Rande einer Predigt erwähnt, dass im vergangenen Jahr 30.000 Menschen in der Diözese Augsburg aus der Kirche ausgetreten seien. Das ist einmal mehr Negativrekord. Womit sich die Frage an Ehrle aufdrängt, warum es ausgerechnet die katholische Kirche sein muss, deren Schwierigkeiten, sich zu erneuern und deren Umgang mit Krisen sowie deren fehlende Aufarbeitung von Missbrauch viele Gläubige entsetzt. «Das hat etwas mit der persönlichen Tradition zu tun», sagt er. Er sei katholisch sozialisiert. Die Verbindung zum Glauben und zu seiner Gemeinde, in der er Pfarrgemeinderats-Vorsitzender war und als Laie schon Andachten hielt, sei nie verloren gegangen. Auch wenn er vieles in der Kirche kritisch sehe.

«In der Zeit, bevor ich 2017 endgültig den Entschluss gefasst habe, Priester zu werden, habe ich mir immer drängendere Fragen gestellt», erinnert sich Ehrle. Zum Beispiel, wie er an seiner Arbeitsstelle Vorgesetzte mit Mitarbeitern hat umgehen sehen, die alles andere als barmherzig gewesen seien. Bis irgendwann die Diskrepanz zwischen den Grundsätzen seines Glaubens und den geschäftlichen Gepflogenheiten zu groß wurde. Auf die Seite der Geistlichen zu wechseln heißt für Ehrle auch, keine Kompromisse mehr machen zu müssen.

Der Zölibat, verpflichtend für katholische Pfarrer, sei für ihn kein Hinderungsgrund. Er hat keine Kinder, war auch nie verheiratet. «Ich kann mir aber vorstellen, dass Sexualität zur fixen Idee werden kann, wenn sie von Anfang an verteufelt und nicht gelebt oder ausprobiert werden darf», sagt er. Das sei ein großer Unterschied zwischen ihm als Spätberufenem und Männern, die ohne Umwege ins Priesterseminar strebten.

Wolfgang Ehrle hat das « Spätberufenenseminar» Studienhaus St.Lambert im rheinland-pfälzischen Lantershofen besucht. Dort sind die Studierenden mindestens 25 - Wolfgang Ehrle war mit Mitte 40 der zweitälteste Student. Vier Jahre dauert die Ausbildung dort.

Dass Ehrle mit seinem Entschluss jetzt genau am richtigen Platz ist, davon ist Josef Wagner überzeugt. Er ist Priesteranwärter in Passau, aber im Gegensatz zu Ehrle sofort mit 18 ins Seminar eingetreten. Als er Wolfgang Ehrle kennengelernt habe, habe er sich gefragt: «Was für ein Bruch muss das sein, wenn man fast ein komplettes Berufsleben hinter sich lässt? Bis ich gemerkt habe: Da war gar kein Bruch.» Die 30 Jahre in seinem alten Beruf nützten Ehrle, glaubt Wagner. Denn jetzt sei er viel näher an den Menschen und an deren Lebensrealität. «Das gibt ihm eine enorme Sensibilität, die andere sicher nicht haben.»

Wohin er entsandt werden wird, wenn die Priesterweihe vollzogen ist, weiß Ehrle nicht. «Zurück ins Allgäu, das wäre schön», sagt er. Aber wohin es auch geht: Er kann sich nicht vorstellen, wieder in sein altes Leben zurückzukehren.

Autor:

Katja Schmidtke

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