"Spiegel"-Autor rollt Fall neu auf
Die letzte Reise des Matthias Domaschk

Matthias Domaschk, Spitzname Matz, ist am 10. April 1981 mit seinem Freund Blase, bürgerlich Peter Rösch, unterwegs von Jena nach Ost-Berlin. Sie sind auf eine Geburtstagsfeier eingeladen.

Von Markus Geiler

Im brandenburgischen Jüterbog werden sie auf Befehl der Stasi gemeinsam mit zwei jungen Frauen von der DDR-Transportpolizei aus dem Zug geholt und verhaftet. In der Lesart der DDR-Organe waren Matz und Blase feindlich-negative Elemente: Sie trugen lange Haare, Jeans, bunte Bänder um das Handgelenk, Jesus-Latschen und wohnten zumeist halb illegal in Abrisshäusern. Sie waren in Opposition zum Staat, hatten einen großen Freiheitsdrang und testeten Grenzen aus. Das thüringische Jena war in den 70ern und Anfang der 80er-Jahre eine Hochburg dieser Gruppen, die sich, wie Matz und Blase, auch in der Jungen Gemeinde Stadtmitte engagierten.

Nach ersten Verhören in Jüterbog werden sie am nächsten Tag in die Stasi-Bezirksverwaltung nach Gera überstellt. Der Vorwurf lautet, sie hätten in Ost-Berlin Störaktionen während des am gleichen Wochenende stattfindenden X. Parteitages der SED geplant. Nach einer weiteren Nacht in Haft und stundenlangen Verhören unterschreibt Matthias Domaschk eine handschriftliche Verpflichtungserklärung zur inoffiziellen Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit. Im Gegenzug winkt ihm Straffreiheit und sofortige Entlassung aus der Untersuchungshaft.

Die Stasi droht ihm, sollte er sich draußen seinen Freunden offenbaren, käme er sofort wieder ins Gefängnis. Kurz vor der Entlassung wird Matz tot in einem Besucherraum der U-Haft aufgefunden. Sein Tod erschütterte die oppositionellen Gruppen in der DDR und wirkt bis heute nach. Viele glaubten nicht an einen Suizid, sondern an einen Stasi-Mord. Mehr als 40 Jahre später deutet vieles auf eine Selbsttötung hin.

In seinem Buch „Jena-Paradies. Die letzte Reise des Matthias Domaschk“ rollt der langjährige „Spiegel“-Autor und frühere „Kontraste“-Redakteur Peter Wensierski den Fall nochmal auf. Minutiös schildert Wensierski die Stunden der Hauptprotagonisten dieses Falles zwischen dem 10. und 12. April 1981. Für die Recherche hat er nach eigenen Angaben mehr als 60 000 Aktenseiten gewälzt und mit rund 200 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gesprochen, darunter Familie und alte Freunde von Matz wie der frühere Stasi-Unterlagenbeauftragte Roland Jahn. Erstmals haben sich auch die beteiligten Stasi-Offiziere und Polizisten dazu geäußert.

„Für mich gehört es dazu, mit allen Seiten zu reden und in alle Richtungen zu forschen“, sagt Wensierski, der sich seit Jahrzehnten mit der Jugendopposition der DDR beschäftigt. Entstanden ist ein Sachbuch, das eigentlich ein Roman ist. „Ich wollte die Geschichte von Matz lebendig werden lassen und in die Gegenwart holen, aber auch den Sound dieser Zeit beschreiben“, sagt Wensierski. 2017 hatte er mit dem Buch „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“ bereits den Leipziger Oppositionellen von 1989 ein literarisches Denkmal gesetzt. Unter der grauen Decke der DDR habe es auch ein buntes Leben gegeben, sagt er. So wie in Jena, wo die jungen Leute „einfach ihr Ding machen wollten“: „Ihnen war aber allen klar: Das ist ein Tanz auf dem Vulkan.“ Offiziell wurde die Jugendopposition in der DDR verschwiegen, inoffiziell wurde sie verfolgt – nicht nur von der Stasi, wie Wensierski betont: „Daran waren viele beteiligt.“ Das konnten die Lehrerin sein, der Lehrmeister oder die Mitschüler. Bloß war das in den vergangenen Jahrzehnten kaum Thema. „Wir haben zwar in den vergangenen 30 Jahren viel Aufarbeitung gehabt, aber keine Diktaturbewältigung.“ In seinem Buch geht Wensierski davon aus, dass Domaschk sich selbst getötet hat. Das System habe ihn in den Tod getrieben.
 (epd)

Wensierski, Peter: Jena-Paradies. Die letzte Reise des Matthias Domaschk, Ch. Links Verlag, 368 S., ISBN 978-3-96289-186-2; 25,00 Euro

Tipp: Peter Wensierski stellt sein Buch vor am 24. März, 19.30 Uhr (Villa Rosenthal, Jena), am 25. März, 15 Uhr (JG-Stadtmitte, Jena) und am 27. März, 19 Uhr (Stadtbibliothek Ilmenau). 

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