Mein Kirchentagebuch
Glück auf! Halleluja - Mein 1. Tag

Foto: Willi Wild

Es ist mittlerweile 40 Jahre, dass ich meinen ersten Kirchentag, damals in Nürnberg, erlebt habe. Jedes mal ist es wie mit meiner Vorliebe für Leberkäs-Brötchen. Wenn ich es lange nicht mehr hatte, tropft mir der Zahn. Nach dem Genuß, reicht es dann wieder für die nächsten zwei Jahre. Aber so weit bin ich in Dortmund noch nicht. Auf dem Weg zu den Westfalenhallen lese ich ein Graffito "Gott ist doof und Jesus auch". Nicht jeder im Pott findet Kirchentag toll, wird mir gleich am Anfang bedeutet. Am Signal Iduna Park angekommen begrüßen mich die tausendfachen Posaunen, die im Stadion des BVB für den Abschlussgottesdienst proben. Das Gebläse braucht keine Verstärker. Das ging schon in Jericho ohne.
So langsam groove ich mich auf den Kirchentag ein. Auf dem Weg zum roten Sofa der Kirchenpresse begegne ich vielen grünen Schals und freundlichen Gesichtern. An der Bühne muss ich mich registrieren und als Akteur vom Sicherheitsdienst durchchecken lassen. Ohne schwarzes Bändchen komme ich nicht auf das Podest. Bundespräsident a.D. Joachim Gauck ist angekündigt und das bedeutet, Sicherheitsstufe eins. Die freundlichen Helfer, die meine Daten aufnehmen sind im normalen Leben Controllerin in Landau in der Pfalz und Wasserschutzpolizist in Mannheim. Sie ist Haka, gehört zum harten Kern der ehrenamtlichen Helfer, die ihren Urlaub für neun Tage Kirchentag opfern. Freiwillig.
Joachim Gauck zieht die Massen ans rote Sofa. Die DDR hätte im Westen genauso funktioniert. Er spricht über seine Vorliebe für Hering und Kartoffel. "Ossis sind nicht per se bekloppt". Das muss man, tief im Westen, schon mal sagen. Und auch das: "Wer intolerant ist, muss unsere Intoleranz erleben". Beifall.
Petra Pau kommt an. Die Bundestagsvizepräsidentin und Linken-Politikerin ist mit Gauck und mir der Ostblock auf dem roten Sofa. Sie ist ein langjähriger Gast auf dem Protestantentreffen. Getauft, konfirmiert, ausgetreten. Mit Bodo Ramelow bildet sie die "Christen in der Linkspartei". Vermutlich keine große Gruppe. Immerhin haben beide beim Dresdner Parteitag 2013 gegen die Abschaffung der Kirchensteuer gestimmt. Auf meine Schlussfrage, was passieren muss, dass Petra Pau wieder in die evangelische Kirche eintritt, meinte Sie: "Arbeiten Sie dran." Was an mir liegt, will ich das gerne tun. Bis zum nächsten Kirchentag, Frau Pau.
Ein Regenschauer treibt mich ins Zelt 10 vor den Westfalenhallen. Dort will ich mir morgen auch eine Bibelarbeit in einfacher Sprache anhören. Ich lerne Mutter und Tochter Battenberg kennen. Die Mutter ist Apothekerin, die Tochter studiert und will Grundschullehrerin werden. Tapfer hält sie das Schild Zelt überfüllt hoch. Sie leben in Dortmund und haben eigentlich mit Kirche nichts am Hut. Aber, nachdem der Kirchentag nunmal hier war, wollten sie mithelfen und dabeisein.
Ich mache mich auf den Weg in meine Unterkunft. Leider habe ich keine bezahlbare Herberge in Dortmund bekommen. Auf nach Bochum. Dazu muss ich aber erst mal in die U-Bahnstation kommen. Eine etwa 200 Meter lange Menschenschlange hat sich gebildet. Da brauche ich wahrscheinlich bis zum Abschlussgottesdienst am Sonntag, bis ich nur am Dortmunder Bahnhof angelangt bin. Aber es gibt Ausweichmöglichkeit und ich mache mich auf den Weg zur S-Bahnstation "Signal Iduna Park". Dumm nur, dass Fronleichnam in NRW Feiertag ist. Ein bestellter, aber nicht abgeholter Taxifahrer bietet mir an, mich zum pauschalen Sparpreis nach Bochum zu bringen. Ich schlage ein, nachdem der Regen wieder einsetzt.
Im Hotel lerne ich einen Dauerkarten-Besitzer kennen. Seit 60 Jahren läßt er keinen Kirchentag aus. Er kennt sie alle, Sölle, Zink, Steffensky, Käßmann und die Dame von den Grünen mit dem Doppelnamen, Vorname Katja oder so. Er unterhält sich mit Estma, die eigentlich Astma heißt und aus Pakistan kommt. Wegen der Namensgleichheit mit der Krankheit nennt sie sich in Deutschland Estma. Sie ist Muslima, Medizinstudentin und hat über den interreligiösen Dialog ein Stipendium für den Kirchentag bekommen. Sie geht in Aachen in eine evangelische Studentengemeinde und will jetzt mal die Bibel lesen.
Eigentlich wollte ich am Abend in die Westfalenhalle zum Martin-Luther-King Musical. Ich bin knülle. Morgen ist auch noch ein Tag. Volles Vertrauen.

Autor:

Willi Wild

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