Die Krönung
Die Kirche als Agentur für feierliche Momente

Foto: epd-bild / Isabell Boettcher

Es wird ein Gänsehautmoment, wenn Charles III. am 6. Mai in das gotische Kirchenschiff der Westminster Abbey einzieht, um vom Erzbischof von Canterbury gesalbt, gekrönt und gesegnet zu werden.

Von Anke von Legat

Millionen von Zuschauern in aller Welt werden die Übertragung des über 1000 Jahre alten Rituals verfolgen. Ein Ereignis, bei dem Kirche sich in ihrem besten Licht zeigen kann – oder?

Für Richard Janus, der Religionspädagogik an der Universität Bielefeld lehrt, ist das eine zweischneidige Sache. „Feierliche Räume, Orgel, Chöre, prächtige Gewänder – natürlich ist das eine Werbung für die Kirche, wenn sie mit so einem positiv besetzten Event wie der Krönung in Verbindung gebracht wird“, sagt der Theologe. „Allerdings schwingt die Gefahr mit, dass Kirche nur als Agentur für den schönen Rahmen wahrgenommen wird. Mit den theologischen Inhalten, die in dem Gottesdienst auch eine Rolle spielen, beschäftigen sich wohl die wenigsten.“ Die Symbolik der einzelnen Elemente, die in einem festen Ablauf vollzogen werden, wirken heute fremd. Da ist zum Beispiel das Salböl, mit dem der Erzbischof den König salbt. Dieser Ritus, der auch bei der Einsetzung der Könige im Alten Testament beschrieben wird, steht für die Übertragung von göttlicher Macht und Kraft auf den Empfänger und zeigt gleichzeitig, dass er der von Gott auserwählte Monarch ist – ein Anspruch, den auch deutsche Herrscher Jahrhunderte lang für sich verbuchten.

Janus mutmaßt, dass die Faszination für den Pomp um das englische Königshaus auch mit einer Sehnsucht nach großen Gesten zusammenhänge, die Gemeinschaft stiften. Kaum jemand glaubt heute mehr an das Gottesgnadentum. „Wenn man Leute auf der Straße zur Symbolik der Krönung befragen würde, würde wohl niemand sagen, dass der König die Krone von Gott empfängt, aber die Inszenierung funktioniert trotzdem.“ Vermutlich werden sich Menschen während der Krönung von der „Heiligkeit“ des Moments anrühren lassen – also von dem Gefühl, dass etwas Unbegreifliches und Unverfügbares im Geschehen mitschwingt. Janus sieht darin ein Bedürfnis nach Spiritualität und Sinnlichkeit in der Religion, das über die rationale, durchoptimierte Welt hinausgeht.

Allerdings profitierten die traditionellen Kirchen von dieser Sehnsucht nicht: „Das Interesse an religiösen und spirituellen Themen bleibt, aber das Interesse an den Institutionen, die Religion verwalten, sinkt drastisch.“ Daran änderten weder prächtige Krönungen noch atmosphärisch dichte Weihnachtsgottesdienste oder Gemeinschaftsevents wie Kirchentage etwas.

Ob die Kirche nur als Festagentur wahrgenommen wird, ist auch bei der kirchlichen Hochzeitsfeier des aus der Kirche ausgetretenen Finanzministers Christian Lindner mit Franca Lehfeldt heiß diskutiert worden. Janus sieht das durchaus positiv: „Es ist doch super, wenn die Leute zu uns kommen. Schließlich haben wir jahrtausendelange Erfahrung damit, festliche Zeiten zu gestalten.“

Autor:

Praktikant G + H

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