Glaubensserie (33): Die Stillung des Sturms
Wenn Jesus ein Machtwort spricht

Auch in stürmichen Zeiten des Lebens kann Jesus ein Fixpunkt sein und die Wellen besänftigen. | Foto: Foto: Arvid Norberg – stock.adobe.com
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  • Auch in stürmichen Zeiten des Lebens kann Jesus ein Fixpunkt sein und die Wellen besänftigen.
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Die Erzählung von Jesu Sturmstillung birgt in der Erzählung eines Wunders eine Verheißung: Auch wenn unser Leben am Wanken ist – wir werden nicht untergehen.

Von Helmut Frank

Etwa 12 Millionen Deutsche leiden unter Angststörungen und Panikattacken. Sie kommen häufig aus dem Nichts. Dann gibt es die realen Ängste, die viele Menschen lähmen: vor einer Eskalation des nicht enden wollenden Kriegs in der Ukraine, vor Inflation, Rezession und den Auswirkungen der Klimakrise. Als besonders belastend empfinden viele Menschen ihre Ängste und Sorgen um nahe Familienangehörige. Schafft der Sohn den Schulabschluss? Wie bekommt die magersüchtige Tochter wieder Lust am Essen – oder überhaupt am Leben? Findet der arbeitslos gewordene Mann noch einmal eine für ihn passende Beschäftigung bis zur Rente?

Die Erzählung von der Sturmstillung durch Jesus im Markusevangelium Kapitel 4 ist eine Geschichte über Furcht und Angst. Sie enthält ein großes Versprechen: Auch wenn unser Leben am Wanken ist – wir werden nicht untergehen.

Die biblische Erzählung ist voller Dramatik und Emotionen, sie wurde in unzähligen Werken der christlichen Kunst verewigt – mit dem fast immer gleichen Motiv: dunkle Wolken am Himmel, aufgepeitschte Wellen, ein schräg in den Wogen hängendes Schiff. An Bord die aufgeregten Jünger – und der schlafende Jesus. Das Ende der Geschichte wurde kaum einmal in Gemälden dargestellt – ist aber entscheidend: Jesus bringt das Meer zum Schweigen. Damit wird die Geschichte zur hoffnungsvollen Wundererzählung.

Erzählt wird zunächst ein Erlebnis der Jünger mit Jesus, in dem es vor allem um deren mangelndes Vertrauen geht. So wurde die Geschichte von den ersten Christen in Israel und Palästina, Alexandria und Antiochien erzählt. Jesus tadelt nach der Sturmstillung die Jünger und fragt sie: »Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?« Die Botschaft der Geschichte sollte damals sein: Vertraue ganz auf Jesus, er sorgt für dich.

Doch bald wurde der Text auf die Lage der Gemeinde Jesu Christi und der Kirche bezogen. Der Sturm wurde als Sinnbild für die Bedrängnis der Christen in der Welt gesehen, das wankende Schiff zum Symbol der Kirche in endzeitlicher Bedrängnis. Der Evangelist Markus hatte dabei eventuell die Gemeinde in Rom vor Augen, die unter Kaiser Nero brutal verfolgt wurde. Damit wurde die Geschichte der Sturmstillung zum Appell an die Bewahrung des Glaubens in Verfolgung und Bedrängnis.

Was kann die biblische Erzählung in unserer Situation heute bedeuten?

Jesus handelt bei
der Sturmstillung wie
ein Exorzist

Die Wundererzählung von der Sturmstillung steckt vom ersten Satz an voller Symbolik. Die Geschichte ereignet sich am Abend, an der Schwelle zur Nacht. Sicher nicht der beste Zeitpunkt für die Überfahrt. Neben Sturm und Meer ist die Finsternis eine weitere den Menschen bedrohende Chaosmacht (vgl. Markus 6, 47 – die Epiphanie Jesu beim Seewandel). In der Antike wurden diese Phänomene als reale Mächte wahrgenommen und gefürchtet. Auch das Ziel der Reise ist von Bedeutung: Im griechischen Urtext heißt es: »Lasst uns hinüberfahren zum Gegenüber!« Das andere Seeufer war heidnisches Gebiet. Das Boot fuhr also ins Chaos der Nacht – und in Richtung des unkalkulierbaren heidnischen Landes.

Bald kam der große Sturm auf (»Windwirbel« übersetzte Martin Luther), und die Wellen schlugen in das Boot. Diese Szene ist fast deckungsgleich mit der Jonaerzählung im Alten Testament (Jona 1, 4). Auch Psalm 107 verwendet das Motiv des Sturmwinds (»Gott gebot und ließ den Sturmwind aufstehen, der hoch die Wogen türmte …«).


"Jesu Auftritt hat jedoch noch eine weitere Facette: Er handelt bei der Sturmstillung wie ein Exorzist"

Die heftigen Fallwinde am See Genezareth sind der geografischen Lage geschuldet. Sie entfesseln sich durch die von Norden und Nordosten herabsteigenden Schluchten der galiläischen Berge und sind nicht nur heftig, sondern auch plötzlich; sie brechen oft herein, wenn das Wetter noch ganz hell ist. Das liegt daran, dass der See 200 Meter unter dem Spiegel des Mittelmeers liegt. Der Wind stürzt, am Rand dieser Einsenkung angekommen, mit Gewalt nach unten. Die Fischer fürchteten den Fallwind und entwickelten ein Gespür dafür, wann es zum Sturm kam.

Jesus war jedoch kein Fischer – im Gegensatz zu einem Teil seiner Bootsbesatzung. Ihn schien das Ganze nicht zu interessieren, »er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen«. Dass sich Jesus nicht als Wunder­täter aufdrängt, sondern scheinbar unbeteiligt im Hintergrund bleibt, ist typisch für die antike Erzählform des Rettungswunders. Jesus scheint sich seiner Aufgabe zu entziehen wie später in Markus 6, 48 (er wollte vorübergehen). Die Angst der Jünger kontrastiert mit der Gelassenheit Jesu.

In ihrer Not wecken die Jünger Jesus. Sie reden ihn an mit: »Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?« Im griechischen Text heißt es didaskalos, das ist die Anrede von Schülern gegenüber ihrem Lehrer.

Didaskalos hat jedoch auch die Bedeutung des Steuermanns, der über das Schiff wacht: Der schlafende Jesus ist in Wahrheit der Steuermann.

Der stellt jetzt der zerstörerischen, chaotischen Macht des Sturms ein Machtwort entgegen: »Schweig, sei stumm.« Jesus beherrscht Meer und Wind, wie der Gott der Schöpfungsgeschichte die Macht des chaotischen Urmeers bannt. In gleicher Weise thematisiert Psalm 107 die Macht Gottes über das Chaos: »Er machte aus dem Sturm ein Säuseln, sodass die Wogen des Meeres schwiegen.« (Vers 29) In Psalm 104, 7 weichen die Wasser zurück aufgrund des Drohens und des Donners der Stimme Gottes. Bei der Sturmstillung repräsentiert Jesus also den Schöpfergott.

Jesu Auftritt hat jedoch noch eine weitere wichtige Facette: Er handelt bei der Sturmstillung wie ein Exorzist. Jesus war Heiler, Lehrer und Wanderprediger. Aber er war auch ein Exorzist, der Dämonen austrieb und Besessene heilte. Das Markusevangelium lässt sogar Jesu öffentliches Wirken mit einem Exorzismus beginnen (Markus 1, 23-26). Weiter heißt es: »Und er zog durch ganz Galiläa, predigte in den Synagogen und trieb Dämonen aus.« (Markus 1, 39) Es ist unklar, was in der Zeit Jesu mit den Begriffen »Dämonen« und »Austreibung« bezeichnet wurde. Die Symptome der in den Evangelien beschriebenen »Dämonen« ähneln jedenfalls schwersten seelischen Belastungen und psychosomatischen Erkrankungen. Und die Befreiungsgeschichten legen nahe, dass Jesus die Fähigkeit hatte, Besessenheit zu lösen und die Betroffenen von ihren seelischen und körperlichen Qualen zu befreien. Der Schlüssel zur Befreiung ist das Machtwort. »Und der Wind legte sich, und es ward eine große Stille.« Auch in Psalm 107 und in der Jonageschichte weichen die gescholtenen Elemente zurück, der Wind lässt nach, das brüllende Meer wird still.

Nachdem sich alles beruhigt hat, redet Jesus mit den Jüngern über ihren Glauben. Er fragt sie: »Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?« Die Geschichte will sagen: Es geht in der Nachfolge Jesu um Glauben und Vertrauen. Wichtig ist dabei der Beginn der Geschichte: Die Initiative zur Überfahrt geht von Jesus aus. Er fordert die Jünger auf, mit ihm die Überfahrt in das fremde Gebiet zu unternehmen. Es ist sein Gedanke, und Jesus übernimmt damit von Beginn an die Gesamtverantwortung.

Die Geschichte der Sturmstillung wurde in der Urgemeinde als Beispielgeschichte zum Thema »Glaube und Vertrauen in Jesus« erzählt, aber genau das sagt sie auch heute noch, gerade in unserer Welt, die von vielfältigen Krisen bedroht ist, ähnlich zerstörerisch und furchteinflößend wie der Sturm: Der, der uns geschaffen hat, trägt unser Leben von Anfang an. Auch wenn Jesus im Boot ist, kann es Stürme geben, sogar angsteinflößende und lebensgefährliche Stürme. Doch er bannt die Mächte des Chaos genau dann, wenn es notwendig ist; er nimmt unsere Dämonen, unsere Ängste und Abgründe in den Griff, wenn es darauf ankommt. Jesus weiß, was wir in Bedrängnis brauchen.

Jesus kann die Stürme und das Meeresbrausen in der Natur stillen, und er kann uns auch in den Stürmen und in den Meereswogen unseres Lebens beschützen. Auch wenn unser Leben stark am Wanken ist, werden wir nicht untergehen. Wenn die Dämonen der Angst unser Leben verdunkeln, bannt er sie mit seinem Machtwort.

In der Sorge um Angehörige, in der Angst vor dem Morgen gilt: Jesus ist mit an Bord, und wenn die Wogen hochschlagen, darf er auch geweckt werden.

Gesprächsimpulse

  • Wovor haben Sie Angst?
  • Wie bringen Sie Ihre Ängste und Sorgen vor Gott?
  • Wovor hatten Sie in einer früheren Lebensphase Angst? Wie ging es damals weiter?

Der Autor ist Chefredakteur des Evangelischen Sonntagsblattes für Bayern.

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Nächste Folge:
Jesu Rede über die Endzeit
(Matthäus, Kapitel 24)

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