John Wyclif: Morgenstern der Reformation

John Wyclif gilt in der evangelischen Kirche als „Morgenstern der Revolution“. Dieser Name war ursprünglich der Venus vorbehalten, die vor Sonnenaufgang den Morgenhimmel beleuchtet. Wyclif lebte von 1330 bis zu seinem Tod 1384 in England. Er war ein belesener Theologie, dem während seines Studiums zahlreiche Ungereimtheiten zwischen Anspruch und Wirklichkeit der katholischen Kirche auffielen. Als energischer Gegner des Papstes sorgte er für Aufsehen und beeinflusste mit seinen Schriften und Predigten die Reformatoren, die das Rad der Geschichte am Ausklang des Mittelalters wenden sollten. Seine Kirchenkritik gab der Lehre von Jan Hus, Martin Luther, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin ihre Grundlage.

Der schwarze Tod wütet in Europa

John Wyclif wuchs in einer schwierigen Zeit auf. Der 100jährige Krieg mit Frankreich wollte nicht enden und die Pestepidemie, die in den Jahren 1347/48 auf ihrem Höhepunkt war, verheerte den Kontinent. Die Zahl von Todesopfern wird von Historikern auf ein Drittel geschätzt. Die Seuche machte den Tod allgegenwärtig und erzeugte bei den noch Lebenden eine Endzeitstimmung. Zugleich stärkte die Pandemie die Bindungen vieler Menschen an die Kirche, bei der sie Schutz und Trost suchten.

Wenn das Leben im Diesseits schon ein Jammertal war, dann sollte wenigstens das Seelenheil erlangt werden, um nach dem Tod Erlösung und ewige Glückseligkeit im Paradies zu finden. Wenn nicht die Juden einmal mehr als Sündenböcke für Katastrophen herhalten mussten, wuchs die Kritik an die Kirche, deren vornehmste Vertreter Wasser zu predigen schienen, aber Wein tranken. Klerikaler Luxus wurde zu einer Zielscheibe der Kritik, zumal dieses Leben die Strafe Gottes geradezu heraufzubeschwören schien.

Die Bewegung der Bettelmönche wuchs an und Flagellanten zogen durch die Städte, um die Menschen mit Selbstgeißelungen zur Umkehr und Buße zu bewegen. Zur gegenwärtigen Endzeitstimmung trug bei, dass es während des Abendländischen Schismas von 1378 bis 1417 zeitweise drei Päpste gab, die sich untereinander befehdeten.

Der Lebenslauf von John Wyclif

John Wyclif durchlebte und überlebte die Jahre von Dämmerung, Weltuntergangsstimmung, Panik, Hysterie und Tod als junger Mann. Er studierte an der Universität von Oxford, wurde 1351 zum Priester geweiht und erwarb 1372 die Doktorwürde der Theologie. In den 1360er Jahren war er zeitweise Vikar in Fylingham bei Lincolnshire. 1374 stieg er zum Rektor der Kirche St. Mary in Lutterworth in Leicestershire auf, von wo aus er seine Bibelübersetzung in die englische Sprache vornahm. Zu seinem Werk gehören zahlreiche religiöse Traktate sowie ein achtteiliger Kommentar zum Heiligen Buch.

Die Positionen des Kirchenkritikers

John Wyclif zufolge war die Bibel als Wort Gottes die absolute Richtschnur christlichen Handelns. Dies war zwar auch ein offizieller Standpunkt der Kirche, jedoch fand der Frühreformator zahlreiche Punkte in Theorie und Praxis der Kirche, die nicht durch die Bibel codiert waren oder ihr widersprachen. In diesem Sinne griff er vehement die Position des Papstes an, da in der Bibel von dieser Instanz nicht die Rede war. Ein ähnliches Verdikt sprach er gegen die Transsubstantionslehre und das Abendmahl aus. Er lehnte die Praxis der Beichte ab, da der göttliche Wille zur Erlösung des Einzelnen bereits von Geburt an determiniert sei, sich somit nicht durch das eigene Verhalten ändern lasse.

Ein Dorn im Auge war ihm außerdem der Luxus zahlreicher Repräsentanten des Klerus. Seine Reiseprediger hießen arme Priester und wirkten durch ihr enthaltsames Vorbild im Sinne der Glaubenslehre. Sie hielten nach seiner Verdammung während des Konstanzer Konzils im Jahre 1415 und der Lollardenverfolgung sein Erbe am Leben. Wie Martin Luther hatte Wyclif mächtige Fürsprecher, die ihn schützten, und wie Luther trug sein Wirken zu Bauernaufständen bei. Im Gegensatz zu Luther wendete Wyclif sich aber nicht später gegen die Bauern, was dazu beitrug, dass die reformierte Kirche eine Kirche der Armen blieb. Das Luthertum wurde hingegen im Sinne der Zwei-Reiche-Lehre eindeutig staatstragend.

Autor:

Dirk Glockner

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