Tamilische Evangelisch-Lutherische Kirche
Alles begann mit einem Freundschaftsalbum

Eintrag im Stammbuch, das seinen Ursprung in Wittenberg hat. | Foto: Rainer Stahl
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  • Eintrag im Stammbuch, das seinen Ursprung in Wittenberg hat.
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Zum Freundeskreis des Martin-Luther-Bundes gehörte eine Pfarrwitwe, Mechthild Schott aus Herzogenaurach. Schon bald ergab sich zwischen uns ein intensiverer Kontakt. Frau Schott berichtete mir als einem ursprünglichen Meininger, dass ihre Mutter ebenfalls aus Meiningen stammte. Frau Schott freute sich, mit mir Erinnerungen austauschen zu können. Dieser gute führte zu einer besonderen Erkenntnis.

Von Rainer Stahl

Im Jahr 2000 legte mir Frau Schott ein Büchlein mit 15 cm langen und 9 cm hohen Seiten vor. Ganz am Anfang, auf der ersten Seite, ist eine Darstellung des gekreuzigten Christus zu sehen. Über und unter diesem Christusbild hatte eine Person geschrieben:
„In dieses Herren Wunden
hab ich mein Heyl gefunden.
J.C.Z.“

Alle zusammengebundenen Seiten waren ursprünglich leer gewesen. Auf den Seiten 2-4 haben sich eine oder zwei Personen mit Wünschen eingetragen. Diese Texte sind schwer zu lesen. Sie beginnen wohl jeweils mit „Mein lieber Leser(?)“ Auf Seite 5 erfolgt der erste Eintrag einer befreundeten Person: „UBvBonin“ „Halle d. 4. July 1717“.

Von Leipzig nach Tamil Nadu

Was war das? Ein Gästebuch? Es wurde aber zu verschiedenen Orten mitgenommen und den Bekannten oder wichtigen Personen zum Unterschreiben vorgelegt. Ein Poesiealbum? Aber dieser Begriff wäre meines Erachtens nicht angemessen. Es waren nämlich immer Einträge mit Bibelzitaten. Die hier erkennbare Gemeinschaft war also durch eine besondere Frömmigkeit gekennzeichnet. Es gibt dann weitere Eintragungen von „July 1717“ in Halle, z.B. „Eleonore Charlotte Gräfin Oppurg, geborene Gräfin Hochberg“, auf dem linken Blatt, wo das rechte Blatt mit S. „13.“ gekennzeichnet ist. Auf S. „19.“ steht der Eintrag von „August Hermann Francke“ und seiner Frau „AMFranckin“: „Halle den 7ten Jul: 1713“. Auf den Seiten „108.“ und „109.“ stehen die Einträge von dessen Sohn „Gotthilf August Francke“ und der Schwiegertochter „Johanna Henriette Franckin“: „Halle den 18. Nov. 1727.“. Vielleicht wurden diese Blätter ursprünglich einzeln vorgelegt und beschrieben und dann später zu diesem Büchlein zusammengebunden?! Zur Deutung sind verschiedene Begriffe möglich: „Die Geschichte des Stammbuches, heute würden wir es Poesie- oder Freundschaftsalbum nennen, hat ihren Ursprung in Wittenberg. Vor allem an der Universität legten Studenten ihrem Lehrer eines seiner gedruckten Werke vor und baten ihn um einen Eintrag. Dabei waren die Widmungen der Wittenberger Reformatoren wie Luther und Melanchthon sehr beliebt. […] Später führte man auf Reisen kleine schmale Bücher mit Leerseiten mit sich und bat Reisebekanntschaften, Kommilitonen und Freunde um einen Eintrag“ (vgl.: Nina Mütze: „1976 gestohlen – nun zurückgekehrt“, in: „Glaube und Heimat“ 9, 22.2.2022, S. 8). – Das ist doch die Deutung für dieses Buch!

Ich konnte das Buch durchblättern. Dabei fielen mir vor allem die Eintragungen aus Meiningen auf, derenthalben Frau Schott es mir gezeigt hatte: z.B. auf S. „99“: „Johann Adam Krebs […] Sachs Meining. Hofprediger Meiningen den 15. Novemb 1713“, oder auf S. „103.“: „Georg Walch Sup. Prim. Meining. d. 17. Jul. 1721.“

Eine Sache hatte mich noch beschäftigt: Bei mehreren Namen ist ein Kreuz hinzugezeichnet worden, offensichtlich von anderer Hand. So bei den Eintragungen durch August Hermann Francke, Hofprediger Krebs und Superintendent Walch. Ich vermute, dass auf diese Weise der Besitzer des Buches vermerkte hatte, wenn die Eintragenden verstorben waren!

Und zwei Einträge entdeckte ich, die Frau Schott nicht aufgefallen waren:

  • Auf S. „95“ steht ein Eintrag unter „Halle, d. 30 Nov. 1715“ durch „Bartholomäus Zie-genbalg, Königl. Dänischer Missionar und Probst“ mit dem Bibelwort: „Schaffet, daß ihr seelig werdet mit Furcht und Zittern.“ Über dem Bibelzitat steht dieses Zitat auch in tamilischer Sprache und Schrift (die Seite 94 links ist leer, nicht beschrieben). Dieser Eintrag ist auch mit einem Kreuz versehen.

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  • Auf S. „97“ folgt dann der Eintrag des Begleiters von Ziegenbalg „Petrus Malaiappen aus Tranquebar“, „Halle d. 12 Decemb 1715“ mit dem Bibelwort „Seelig sind die da reines Herzens sie werden Gott schauen“ und darüber auch in Tamilisch (die Seite 96 links ist wieder leer).
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Damit führte dieses Büchlein zurück zu den lutherischen Missionaren in Südindien, wo ich selbst am 28. Januar 1990 in Tranquebar gepredigt hatte! Gleich hatte ich den Gedanken, dass die Leipziger Mission von diesem Fund erfahren müsste. Am 16. August 2000 dankte mir der damalige Direktor des Missionswerkes, Peter Große: „Vielen Dank für Ihr Angebot. Ich würde mich sehr dafür interessieren, wenn wir von Ihnen eine Kopie bekommen könnten. […] Ich erinnere mich daran, dass Sie in Tranquebar gepredigt haben. Zu der Zeit war ich ja in Indien, und dort hatten wir uns ja das erste Mal getroffen.“ Eine Kopie der Seiten mit den Eintragungen von Ziegenbalg und Malaiappen / Mallaiyappan (so die Fassung des Namens in einer E-Mail von Bischof Samraj vom 26. Januar 2023) schickte ich dann nach Leipzig.

Bei einer Tagung der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands wurde ich mit einem indischen Kollegen, mit Pfarrer Dr. Christian Samraj, bekannt, der damals als „Botschafter für ausländische Angelegenheiten der Tamil Ev.-Luth. Kirche in Indien“ in Leipzig wohnte, genau in dem Komplex, in dem die Leipziger Mission untergebracht ist – Paul-List-Str. 17. Natürlich hatte ich ihm auch von diesem Fund erzählt. Dabei kam heraus, dass die Kirche in Indien keinerlei Originalunterlagen von Bartholomäus Ziegenbalg besitzt, alles im Missionswerk in Halle und auch in Leipzig sei. Wenn die Kirche einmal ein solches Originaldokument bekommen könnte – das wäre wie die Erfüllung ihres größten Traums! Daraufhin beriet ich mich mit Frau Schott, die dann mit ihrer Familie beraten hat – mit dem Ergebnis, dass die Familie bereit sei, dieses Originalbüchlein an die Tamilische Kirche abzugeben. Frau Schott meinte mir gegenüber: „Bei uns liegt es doch nur irgendwo in einem Schubfach, aber die Freunde in Indien werden es würdigen!“ So fuhr ich am 23. Dezember 2014 nach Leipzig und übergab diesen besonderen Schatz an Dr. Samraj.

2014: Rainer Stahl (l.) 2014 übergibt das Stammbuch Dr. Samraj, dem heutigen tamilischen Bischof. | Foto: Rainer Stahl
  • 2014: Rainer Stahl (l.) 2014 übergibt das Stammbuch Dr. Samraj, dem heutigen tamilischen Bischof.
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Als ich ihm die Eintragungen von Ziegenbalg und Malaiappen / Mallaiyappan zeigte, erwähnte ich, dass das Deutsch, auch seine Schreibweise, sehr altmodisch sei und man sich auch als Deutscher bemühen müsste, um es zu verstehen. Da meinte Dr. Samraj: „Das Tami-lisch ist auch sehr alt. Aber ich kann es ebenfalls verstehen!“

Dann verging eine geraume Zeit, bis dieses Geschenk der Kirche in Indien übergeben wurde: Zur Amtseinführung von Landesbischof Dr. Carsten Rentzing am 29. August 2015 war ich für den Martin-Luther-Bund nach Dresden gefahren und konnte dort auch mit Bischof Edwin Jayakumar und mit dem Schatzmeister der tamilischen Kirche sprechen. Sie dankten mir für diese Initiative. Bruder Dr. Samraj berichtete mir danach: Als er beiden das Buch gezeigt hatte, waren sie auf die Knie gesunken, denn sie konnten einen Originaltext des Missionars ihrer Kirche in den Händen halten!

Ich meinte, verstanden zu haben, dass das Büchlein bei dieser Gelegenheit nach Indien über-geben war, was ich am 31. August 2015 auch Frau Schott geschrieben hatte. Aber das war ein Missverständnis meinerseits gewesen. Erst im Jahr 2019, zur Amtseinführung des neuen Bischofs, Daniel Jayaraj, übergab Dr. Samraj das Büchlein – und hatte im Einführungsgottesdienst des neuen Bischofs mich als Organisator der Übergabe dieses Schatzes gewürdigt! Während meines Einsatzes in der Gemeinde in Kronstadt / Brašov / Brassó in Rumänien im Jahr 2019 kam am 15. Mai 2019 eine Delegation der sächsischen Landeskirche unter Leitung von Landesbischof Dr. Rentzing in diese Gemeinde. Da sprach mich Bischof Rentzing besonders auf diesen Vorgang an: Was das für eine Leistung gewesen sei, dieses Büchlein der tamilischen Kirche zu übermitteln! Während der Amtseinführung des Bischofs habe er da-von erfahren und sei beeindruckt gewesen, wie mein Einsatz gewürdigt worden war! Diese besondere Erfüllung konnte ich Frau Schott und ihrer Familie mitteilen.

In der Weihnachtsausgabe von „Glaube und Heimat“ stand jetzt die Information, dass Dr. Christian Samraj zum neuen Bischof seiner Heimatkirche gewählt worden ist („Glaube und Heimat“ 52, 25.12.2022, S. 16). Da habe ich mich sofort mit der Leipziger Mission in Verbindung gesetzt, erhielt die E-Mail-Adresse von Dr. Samraj und konnte ihm zu seiner Bischofseinführung am 14. Januar 2023 herzliche Segenswünsche senden. Er antwortete mir schon am 11. Januar mit einer wichtigen Vergewisserung: „Ich denke sehr an das Gästebuch, wo wir sehen die Unterschrift von Ziegenbalg und Peter Mallaiyappan. Es ist ein wichtiger Schatz für uns und die Tamil Kirche. Nun ist das Buch in unserem Museum in Tranquebar.“ Gerade kürzlich stand der Bericht von Hans-Georg Tannhäuser über die Amtseinführung von Bischof Samraj in „Glaube und Heimat“ (7, 19.2.2023, S. 14): „Der neue Bischof der TELC, Christian Samraj, ist da ein Hoffnungsträger für die Christen in der Region. […] Eingeführt in sein Amt wurde der promovierte Theologe bereits am 14. Januar, einem ganz besonderen Tag im Kalender der TELC. An jenem Tag im Januar 1919 wurde die selbständige Kirche in Tranquebar (heute Tarangambadi) gegründet.“

Der Autor war Generalsekretär des Martin-Luther-Bundes von 1998-2016.

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Online-Redaktion

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