Unglücke
Erst Ramstein führte zum Umdenken

Sechs kleine Kreuze erinnern neben der B44 bei Frankfurt an die Pfarrersfamilie Jürges, die dort am 22. Mai 1983 ums Leben kam. Der 40-jährige Martin Jürges war am Pfingstsonntag, 22. Mai 1983, mit seiner Frau Irmtraud (38), seiner Mutter Erna (77), den beiden Kindern Jan (11) und Katharina (1) und seiner 19-jährigen Nichte Gesine Wagner unterwegs zu einem Ausflug, als ein kanadischer Starfighter bei einem militärischen Schaufliegen nahe dem Flughafen explodierte und abstürzte. 


 | Foto: epd-bild / Kurt-Helmuth Eimuth
  • Sechs kleine Kreuze erinnern neben der B44 bei Frankfurt an die Pfarrersfamilie Jürges, die dort am 22. Mai 1983 ums Leben kam. Der 40-jährige Martin Jürges war am Pfingstsonntag, 22. Mai 1983, mit seiner Frau Irmtraud (38), seiner Mutter Erna (77), den beiden Kindern Jan (11) und Katharina (1) und seiner 19-jährigen Nichte Gesine Wagner unterwegs zu einem Ausflug, als ein kanadischer Starfighter bei einem militärischen Schaufliegen nahe dem Flughafen explodierte und abstürzte.


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Am 22. Mai 1983 stürzt ein Kampfflugzeug während einer Flugschau über dem Frankfurter Flughafen ab. Brennende Wrackteile treffen das Auto des Frankfurter Stadtjugendpfarrers Martin Jürges. Er und fünf Familienangehörige kommen uns Leben.

Von Dieter Schneberger (epd)

Pfingstsonntag, 22. Mai 1983: Während einer Flugschau auf dem militärischen Teil des Frankfurter Flughafens stürzt ein kanadischer «Starfighter» in Höhe des Waldstadions ab. Während sich der Pilot mit dem Schleudersitz retten kann, treffen brennende Wrackteile den Wagen der Pfarrersfamilie Jürges, der zufällig vorbeifährt. Der in der Friedensbewegung aktive Martin Jürges (40), seine Frau Irmtraud (38), seine Mutter Erna (77) und seine beiden Kinder Katharina (1) und Jan (11) sind auf der Stelle tot; die 19-jährige Nichte Gesine Wagner stirbt 81 Tage später an ihren schweren Verbrennungen.

Die Nachricht vom tragischen Schicksal der Familie sorgt im Freundeskreis und in der evangelischen Gutleutgemeinde im Frankfurter Bahnhofsviertel für lähmendes Entsetzen und tiefe Trauer. «Ich konnte es nicht glauben. Also rief ich in meiner Verzweiflung im Flughafen an, um zu fragen, ob es überhaupt stimmt», erinnert sich Kurt-Helmuth Eimuth.

Martin Jürges habe ihn nach seinem Zivildienst ins Stadtjugendpfarramt geholt, wo er ein Zimmer bezogen und sich auf sein Studium vorbereitet habe, verrät der ehemalige Leiter der Kindertagesstättenarbeit der Diakonie Frankfurt in seinem jüngsten Podcast «Conny&Kurt». Daraus sei eine tiefe Freundschaft entstanden.
«Die Tragödie am 22. Mai 1983 hat meinen Anti-Militarismus noch verstärkt», betont Eimuth.

«Die Nachricht vom Tod der Pfarrersfamilie hat mich schockiert», sagt in dem Podcast der Frankfurter Stadionpfarrer und Sänger der Band «Habakuk», Eugen Eckert. Er sei damals sehr aktiv gewesen in der evangelischen Jugend. Martin Jürges habe beim Kauf des musikalischen Start-Equipments für die Band geholfen und den Probenraum zur Verfügung gestellt. «Ohne ihn gäbe es 'Habakuk' nicht», betont Eckert. Zudem habe er sich nach dem Unglück dazu entschieden, Theologie zu studieren. «Wenn Martin nicht mehr arbeiten kann, muss ich in seine Fußstapfen treten», habe er sich gesagt.

Jürges' friedenspolitisches Engagement ist eng verbunden mit seiner Zeit als Stadtjugendpfarrer von 1975 bis 1981. In dieser Funktion und als Vorsitzender des Frankfurter Jugendrings prägt er die Jugendpolitik der Stadt. «Martin Jürges war eine charismatische, durchsetzungsfähige Persönlichkeit», hebt Eimuth hervor. Und er war glaubwürdig - auch für diejenigen, die die Institution Kirche schon längst abgeschrieben hatten.«

1982 wird Jürges Pfarrer im Gutleutviertel. Die meisten Bewohner sind Ältere und Alte, Ausländer und sozial Schwache. Für alle hat er ein Ohr: »Ihm war daran gelegen, die Lebensbedingungen im Viertel zu verbessern«, sagt Eimuth. Er habe sich etwa für das kommunale Wahlrecht von Ausländern und für Drogenabhängige eingesetzt.

So verwundert es kaum, dass die erste Todesanzeige, die am 24. Mai erscheint, von »deutschen und ausländischen Bewohnern des Gutleutviertels« kommt. Darin heißt es unter anderem: »Martin Jürges war seinen Mitmenschen ohne Ansehen des Alters, des Standes, der Religion und der Nationalität verbunden. Er gab ihnen Halt.«

Bereits am Pfingstmontag, 23. Mai, halten der Pfarrer der benachbarten Weißfrauengemeinde, Karsten Petersen, Dekan Hermann Strohmeier und der stellvertretende hessen-nassauische Kirchenpräsident Helmut Spengler einen Gottesdienst für die Familie. In seiner Predigt würdigt der Dekan nicht nur den Gemeindepfarrer Jürges, sondern auch den »Kämpfer für den Frieden« der ein Opfer jener Waffen geworden sei, vor denen er ein Leben lang gewarnt habe.

Der damalige Frankfurter Propst Dieter Trautwein stellt am 30. Mai im großen Trauergottesdienst in der Katharinenkirche die Frage nach dem »Warum«. Es sei unerträglich, dass gerade diese Familie »Opfer menschlicher Machtdemonstration« geworden sei. Viele der 2.000 Trauergäste tragen auf dem Weg zum Oberräder Waldfriedhof das violette Halstuch der Friedensbewegung.

Das tragische Unglück lässt in der ganzen Bundesrepublik die Forderung nach einem Verbot militärischer Schauflüge laut werden. Es gibt auch mehrere Gespräche zwischen Kirchenvertreten und den Verantwortlichen in der Frankfurter Air-Base, die allerdings im Sande verlaufen.

In Detmold, wo Martin Jürges geboren wurde und seine ebenfalls getötete Nichte lebte, sammelt eine Bürgerinitiative mehr als 7.000 Unterschriften gegen Schau- und Tiefflüge über bewohnten Gebieten.
Trotzdem bleibt der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) stur und bezeichnet solche Flüge als »absolut notwendig«. Erst nach der Katastrophe von Ramstein fünf Jahre später, bei der 70 Menschen sterben, wird in Deutschland der tödliche Nervenkitzel aufgegeben.

Die Erinnerung an die Pfarrersfamilie ist in Frankfurt auch 40 Jahre nach ihrem Tod lebendig. Das Haus der Gemeinde in der Gutleutstraße 131 trägt den Namen von Martin Jürges, und beim Behördenzentrum hinter dem Hauptbahnhof befinden sich ein Gedenkstein und der »Familie-Jürges-Platz".

Termin:
Am Pfingstsonntag 28. Mai, 12 Uhr, ist eine Fahrt zum Kreuz für die Familie an der Absturzstelle vorgesehen. Treffpunkt mit Rädern ist zum 11.30 Uhr die Paul-Gerhardt-Gemeinde.

Autor:

Katja Schmidtke

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