Pfingstbetrachtung
Heilige Begeisterung

Blick in den Himmel: 
Der Pyramidenkanzelaltar der Kirche in Ziegenhain (Kirchenkreis Jena) erinnert den Prediger an die Gegenwart des Heiligen Geistes. Auf der Kanzel stehend, sieht er beim Blick nach oben die Taube mit Strahlenkranz über den angedeuteten Wolken. Die Marienkirche ist 600 Jahre alt. Am Pfingstsonntag, 17 Uhr, wird Gottesdienst gefeiert.  | Foto: Günter Widiger
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    Der Pyramidenkanzelaltar der Kirche in Ziegenhain (Kirchenkreis Jena) erinnert den Prediger an die Gegenwart des Heiligen Geistes. Auf der Kanzel stehend, sieht er beim Blick nach oben die Taube mit Strahlenkranz über den angedeuteten Wolken. Die Marienkirche ist 600 Jahre alt. Am Pfingstsonntag, 17 Uhr, wird Gottesdienst gefeiert.
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Die Botschaft von der Auferstehung Christi ist von Anfang an unfassbar. Zunächst scheint sie auch unglaublich zu sein. Doch selbst Skeptiker wie Thomas lassen sich überzeugen.

Von Joachim Liebig

Aus dem Unfassbaren wird Glaubwürdiges. Die frühe Christenheit sammelt sich zunächst im Verborgenen. Zu groß ist die Bedrohung von außen – und ebenso groß die Gefahr, in der eigenen Umgebung ausgestoßen zu werden.

Dann kommt Pfingsten. Einfache Menschen treten in öffentlicher Rede auf. Sie erzählen in unterschiedlichen Sprachen von der Osterbotschaft. Sie können nur betrunken sein, so die fast verständliche Reaktion der Umgebung. Für die frühe Gemeinde Jesu Christi ist dies der erste Augenblick der öffentlichen Wahrnehmung. Von da an wird Gottes Plan von der Erlösung in Jesus Christus gepredigt und in praktischer Barmherzigkeit spürbar. Bereits in der Apostelgeschichte wird deutlich, wie sehr die Gemeinde dadurch gefordert ist: Diakone müssen gewählt werden, weil die Aufgaben der Barmherzigkeit das Predigen zu verdrängen drohen. Aus einer Bewegung wird schon bald eine Organisation.

Sachlich ist das gewiss angemessen. Damit verbunden sind aber auch erste Konflikte um die Auslegung und den gewünschten Wirkungsbereich der Predigt. Der Konflikt der Jünger mit Paulus ist dafür ein beredtes Beispiel. Wie es scheint, setzt das Pfingstereignis zwangsläufig die Einrichtung einer Organisation voraus. Anders lässt sich der missionarische Erfolg nicht bewältigen. Dabei kann Organisation dem Charisma einer Bewegung zwar einen Rahmen geben. Zugleich kann sie jedoch der Botschaft im Wege stehen.

Anfang des vierten Jahrhunderts wird unter Kaiser Konstantin die organisierte Kirche der ersten Christenheit zu einer Institution. Für nicht wenige tritt, bis heute, damit der charismatische Charakter des Pfingstfestes endgültig in den Hintergrund. Als Institution verkörpert Kirche zwar seit Jahrtausenden beständige Gewissheit. Nicht selten scheint sie sich jedoch selbst genug zu sein. Reformatorische Ansätze versuchen in 2000 Jahren christlicher Geschichte, den Geist des Pfingstfestes wiederzubeleben. Zeitweise gelingt das, zeitweise führt das auf Abwege, bis heute.


"Wenn etwas von Gott kommt, kann man es nicht aufhalten. Wenn es nicht von Gott kommt, endet es von allein"

Mindestens im Abendland wird Kirche zu einem politischen Machtfaktor. Auch in der Gegenwart muss Kirche sich die Frage gefallen lassen, welche Botschaften tatsächlich „Christum treiben“ und welche aus anderen Quellen gespeist werden. Wie schön wäre es, Kirche könnte, im institutionellen Rahmen und gut organisiert, die geistliche Kraft des ersten Pfingstfestes in Bewegungsenergie umsetzen. Alle Versuche dazu sind bisher gescheitert. Vermutlich schließen sich die unterschiedlichen Organisations- und Institutionsformen gegenseitig aus. Dennoch gilt weiter die pfingstliche Erwartung, nicht wegen aller Institutionen und Organisationen, sondern ihnen zum Trotz den Mut zum freien Wirken des Geistes Gottes zu haben.

In der weltweiten Ökumene sind es wachsende Kirchen, die Freiräume für Neues und Experimentelles bieten. In institutioneller Erstarrung wagen wir in Deutschland zu wenig – trotz aller Reformansätze. Verkündigung im pfingstlichen Geist trägt das Risiko des Scheiterns in sich. Hier gilt der Rat des jüdischen Gelehrten Gamaliel, gleichfalls aus der Apostelgeschichte: Wenn etwas von Gott kommt, kann man es nicht aufhalten. Wenn es nicht von Gott kommt, endet es von allein. Damit hat Gamaliel als Jude gewiss nicht das Pfingstfest gemeint. Dennoch hat er seine Wirkung zutreffend beschrieben. Kirche hört seit 2000 Jahren nicht auf. Sie verändert beständig ihre Form, und alle Versuche, kirchliches Erscheinungsbild verbissen zu erhalten, werden mit höchster Wahrscheinlichkeit scheitern.

Es liegt daher an uns, ob wir versuchen, diese Entwicklung aufzuhalten oder beherzt und risikofreudig neue Wege gehen. Kirche löst sich dabei vollständig von dem, was gesamtgesellschaftlich bedeutsam erscheinen mag oder es nur behauptet. Der Kern des Pfingstfestes besteht darin, die Botschaft vom Heilsplan Gottes in die Welt zu tragen. Es ist eine sehr spezielle Form des Kleinglaubens, dies auf das Engagement für einzelne, für sich gewiss berechtigte, Anliegen zu reduzieren. Wenn dabei Gottes Zusage zur Erlösung in den Hintergrund tritt, braucht es diese Art von Kirchen nicht.

Pfingsten ist darum kein Fest mit zwei kirchlichen Feiertagen, das überwiegend als Urlaubsbrücke dienen mag. Für Kirche ist Pfingsten die immerwährende und bisweilen schmerzhafte Erinnerung an den Kern des eigenen Auftrags. Sinkende Mitgliederzahlen – die interessanterweise nicht mit einem vergleichbaren Relevanzverlust einhergehen – werden nicht durch neue Themenstrategien verändert. 2000 Jahre Erfahrung zeigen, dass am Ende nur das Glaubenszeugnis Einzelner, die Predigt des Evangeliums und die zentrale Bedeutung der Sakramente zählen. Möge Gottes Geist uns ermutigen, dafür auch von lieb Gewordenem, aber letztlich Nebensächlichem Abstand zu gewinnen. Der Lohn für diesen Mut ist Begeisterung im vollen Sinn des Wortes.

Ein gesegnetes Pfingstfest!

Autor:

Online-Redaktion

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