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Die Kirche als Täterin

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Die evangelische Kirche hat lange geglaubt, sie sei der bessere Teil der Christenheit: aufgeklärt, föderal, wenig hierarchisch. Seinen Ursprung hat dieses Selbstverständnis in den reformatorischen Grundfesten wie Luthers vier "Soli". Ausgerechnet das "sola gratia" – allein aus Gnade – wird im Umgang mit sexualisierter Gewalt als Feigenblatt missbraucht.

Von Katja Schmidtke

In der Forum-Studie haben die Forscher herausgearbeitet: Die evangelische Rechtfertigungslehre verleitet zur Annahme eines Automatismus von Schuld, Vergebung und Gnade. Kirchen mögen bei Betroffenen um Entschuldigung bit-ten – öffentlich oder in oft als unangemessen erlebten privaten Seel-sorgegesprächen. Die Bitte um Entschuldigung kann aber nur ein Schritt auf dem Weg der Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld sein. Viele andere Schritte wurden bislang ausgelassen. Beschuldigte wurden versetzt, Betroffene delegitimiert und isoliert, innerkirchliche Aufarbeitungsverfahren sind intransparent, Anerkennungsgremien sind mit Kirchenmitarbeitern besetzt, Zahlungen werden von der Kassenlage abhängig gemacht. Reue findet keine angemessene Form oder wird gar gänzlich übersprungen. Und gleichzeitig werden Betroffene mit Wünschen nach Vergebung der Gewalt konfrontiert.
Schuld als nicht prinzipiell auflösbarer Zustand ist offensichtlich schwer auszuhalten in einer Kirche, die einen gnädigen, weil vergebenden Gott predigt. Dabei missversteht die Kirche sola gratia als Prinzip, das sich auf das Schuld-Vergebung-Verhältnis zwischen Menschen oder gar Menschen und einer Institution übertragen lässt. Dieser Irrglaube führt zu einer falschen Selbstpositionierung im Themenkomplex sexualisierte Gewalt: Kirche ist hier keine Seelsorgerin. Sie ist Täterin.

Autor:

Katja Schmidtke

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