Biospsychologie
Frühlingsgefühle

Foto: epd-bild/Heike Lyding

Tulpen, knospende Bäume, laue Luft und Sonnenschein: Viele Menschen fühlen sich besonders wohl, wenn der Frühling anfängt. Das ist keine bloße Einbildung, sondern biologisch begründet, sagt der Berliner Biospsychologe Peter Walschburger (76). Nina Schmedding sprach mit dem emeritierten Professor der FU Berlin über hormonelle Hochgefühle, den Einfluss der Sonne und eine Vogelgezwitscher-App.

Herr Walschburger, der Frühling scheint die Menschen seit jeher zu berauschen, unzählige Dichter haben ihn besungen. Gibt es wirklich die berühmten und vielzitierten Frühlingsgefühle?
Peter Walschburger: Ganz eindeutig gibt es Frühlingsgefühle, obwohl sie manchmal nur erotisch gedeutet werden, was zu einseitig ist. Eigentlich bezieht sich der Stimmungswandel darauf, dass wir Menschen eingebettet sind in den Tag-Nacht-Rhythmus. Dies drückt sich auch darin aus, dass die Sonne, unser Lebens- und Energiespender, im saisonalen Wechsel mal länger und mal kürzer scheint. Wenn der Frühling naht, bekommen wir täglich mehr Sonne. Und die zur Zeit besonders schnelle Zunahme von Licht beeinflusst auch unser Hormonsystem.

Wie äußert sich das?
Es sind vor allem zwei Hormone, die für unseren 24-Stunden-Rhythmus verantwortlich sind und gegensätzlich wirken. Melatonin wird nachts ausgeschüttet und macht müde, während Serotonin tagsüber freigesetzt wird und uns vitalisiert. Wenn es länger hell ist, wird mehr Serotonin ausgeschüttet. Das heißt, das Mischungsverhältnis zwischen diesen beiden Hormonen ändert sich, und wir haben tagsüber mehr Unternehmungslust. Dadurch kommt es zu dem gehobenen Lebensgefühl im Frühjahr. Im Winter dagegen schlafen wir länger, da essen wir eher mehr, werden träger und etwas dicker.

Zum Frühling gehört Son-ne, aber auch laue Luft, blühende Blumen und Vogelgezwitscher …
Genau, der Aufbruch ist in der ganzen Natur zu spüren. Wenn man sich mit wachen Sinnen umschaut, dann riecht es plötzlich anders, nach frischem Gras. Das Grün der Natur ist jetzt ein besonders vitales Hellgrün, nicht so wie das dunklere, herbstliche Grün. Es sind wieder mehr Tiere zu sehen, und die Menschen, wenn es dann auch noch warm wird, kleiden sich auch wieder gefälliger als im Winter. Man sieht sie draußen auf Spaziergängen, sie reden miteinander, es herrscht gute Laune.

Wie registrieren Tiere den Frühling?
Viele Tiere sind wie wir Menschen tagaktive Lebewesen und reagieren auf den Frühling massiv – Tiere sogar noch deutlicher, weil sie rein instinktiv an diesen gebunden sind. Menschen haben sich seit ihrer Sesshaftigkeit, also etwa seit 10 000 bis 12 000 Jahren, durch ihre zivilisierte Lebensweise zunehmend vom direkten Einfluss der Natur entfernt. Das ist aber nicht unproblematisch

Inwiefern?
Viele Menschen in den Städten sitzen den ganzen Tag im Büro und in der Wohnung und bekommen dadurch eine deutlich geringere natürliche Lichteinstrahlung. Hinzu kommt viel künstliches Licht, etwa vom Handy oder vom Fernseher, das uns abends wachhält. Man ist aber besser beraten, wenn man der Lebensregel folgt: Bei Nacht im Dunkeln ruhen und schlafen, bei Tag im Hellen ein reges Leben führen. Das Erwachen der Natur im Frühling ist auf intime Weise so eng mit unserer gehobenen Stimmungslage verbunden, dass wir das zwar spüren, aber meist nicht reflektieren und manchmal auch fehlinterpretieren.

Gibt es auch individuelle Unterschiede beim Erleben des Frühlings?
Durchaus. Für ältere Menschen ist das Frühlingserwachen bedeutsamer als für jüngere. Schließlich bereitet ihnen der dunkle Winter mehr Probleme; und wenn das eigene Lebensende näher rückt, wird man sensibler für den Aufbruch der Natur. Es kann aber auch passieren, dass der Frühling eine depressive Stimmungslage bis hin zum Suizid verstärkt: Ein schwer depressiver Mensch kann unter seiner Antriebslosigkeit im Kontrast zum allgemeinen Aufleben im Frühling stark leiden.

Was empfehlen Sie wie kann man die positive Wirkung des Frühlings am besten ausnutzen?
Man sollte sich früh am Morgen im Freien dem vollen Tageslicht aussetzen und tagsüber nach draußen gehen. Abends sollte man die Dunkelheit zulassen und eher schwächere, rötliche Lichtquellen nutzen, das ähnelt der untergehenden Sonne. Für den Biorhythmus wäre es besonders günstig, mit dem Aufgang der Sonne aufzustehen und mit ihrem Untergang ins Bett zu gehen. Aber das ist natürlich heutzutage nicht sehr realistisch.

Es gibt auch Menschen, die sich nachts digitales Vogelgezwitscher anhören, weil sie dann besser schlafen können. Woran liegt das?
Vogelgezwitscher kann unsere Fantasie in eine Art interesseloses Wohlgefallen überführen. Das heißt, wir können in einen Zustand geraten, in dem wir so ruhig werden, als würden wir träumend auf einer Waldwiese liegen. Wir vergessen dann eher unsere ungelösten Probleme, die zur Schlaflosigkeit beitragen.

(kna)

Autor:

Praktikant G + H

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