Barmherzig, nicht blauäugig

Zuflucht: Sarah und Amir (Namen geändert) waren auf der Flucht. Im evangelischen Weigle-Haus in Essen hatte das iranische Paar 2015 Kirchenasyl gefunden. Aktuell sind in der EKM 20 Personen im Kirchenasyl. | Foto: epd-bild/Stefan Arend
  • Zuflucht: Sarah und Amir (Namen geändert) waren auf der Flucht. Im evangelischen Weigle-Haus in Essen hatte das iranische Paar 2015 Kirchenasyl gefunden. Aktuell sind in der EKM 20 Personen im Kirchenasyl.
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Schutz unter dem Kruzifix: Gott zeigt sich in der Bibel als Beschützer von Flüchtlingen und Fremden. Kein Gebot wird schon im Alten Testament sooft wiederholt wie das Gebot, Fremde nicht zu unterdrücken.

Von Willi Wild

Fremde zu lieben und sogar von rechtlicher Gleichstellung ist die Rede. In 3. Mose 19,33f heißt es: »Wenn ein Fremdling wohnt bei euch in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland.« Konkreter wird es in 4. Mose 15,16: »Einerlei Recht gelte für euch. Für die Fremden gilt es genau wie für die Einheimischen. Denn ich bin Jahwe, euer Gott.« Den Gleichheitsgrundsatz sehen manche angesichts von über 100 000 offenen Fahndungsausschreibungen in Deutschland (»Die Welt« 29. 7. 18) zur Festnahme von Ausländern mit dem Ziel der Abschiebung, Ausweisung oder Zurückschiebung heutzutage nicht mehr gegeben. Da heißt es dann oft vorschnell, das Kirchenasyl leiste dem Untertauchen Vorschub.
Barmherzig, aber nicht blauäugig: Kirchenasyl werde in der EKM nicht leichtfertig und schon gar nicht pauschal gewährt, so Pfarrerin Cordula Haase. Kirchengemeinden geben Asyl, wenn sie im Fall einer Abschiebung Gefahr an Leib und Leben oder eine schwere Menschenrechtsverletzung fürchten, erklärt sie. Haase ist neben Petra Albert für den Fachbereich Migration im Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrum der EKM zuständig und damit offizielle Ansprechperson seitens der Landeskirche zu Kirchenasyl für Kirchengemeinden und staatliche Stellen.
In 14 Fällen werde derzeit Kirchenasyl gewährt, so Haase. Zehn Kirchenasyle gibt es in Thüringen und vier in Sachsen-Anhalt. Insgesamt betrifft es 20 Personen, darunter drei Kinder. Die Pfarrerin rechnet damit, dass vier der Kirchenasyle in Kürze beendet werden.
Für die Aufnahme in Pfarrhäusern, Gemeindezentren oder anderen kirchlichen Räumen gebe es kein Antragsverfahren, erklärt Haase: »In der Realität ist es so: Betroffene oder ihre Unterstützerinnen und Unterstützer bitten eine Gemeinde um Kirchenasyl. Die Gemeindeverantwortlichen reden mit den Leuten, tragen Informationen zusammen und versuchen einen Eindruck zu bekommen, welche unzumutbaren Härten vorliegen.« Dazu gehöre auch eine ergebnisoffene Beratung mit den Migrationsbeauftragten. Wenn eine lebensbedrohliche Notsituation vorliege, die eine Rücküberstellung in das Erstaufnahmeland oder die Abschiebung verbiete, kann die Kirchengemeinde dem Kirchenasyl zustimmen, so Haase.
Die Gewährung von Kirchenasyl sei immer eine Einzelfallentscheidung in den Gemeinden. Laufen Flüchtende beispielsweise Gefahr, in ein Land rücküberführt zu werden, in dem es keine angemessene Unterkunft für Familien gibt und sie deshalb auf der Straße leben müssten, sei das ein Grund für Kirchenasyl, erklärt die Migrationsbeauftragte. Schwere Krankheit oder die Trennung von Familienmitgliedern sind einzelne Aspekte. »Wichtig ist immer die Würdigung der Gesamtsituation«, so Haase. Kirchenasyl lindere akute Notlagen. Manchmal werde einfach Zeit gebraucht, Belege wie ärztliche Atteste, für die vorliegenden Härten zu besorgen.
»Kirchen sind keine rechtsfreien Räume«, aber die staatlichen Stellen tolerierten die lange humanitäre Tradition des Kirchenasyls, beschreibt Cordula Haase das Verhältnis zwischen den staatlichen Stellen und der Kirche. Kommunikation und vertrauensvoller Umgang miteinander seien eine wichtige Basis. So werde beispielsweise ein Kirchenasyl den Behörden gemeldet.
Der Schutz gelte nur für die kirchlichen Räume. Ohne gültige Aufenthaltspapiere könnten die Menschen außerhalb des Kirchenasyls aufgegriffen und abgeschoben werden. »Außerhalb der kirchlichen Räume gibt es keinen Schutz. So kommt das Leben im Kirchenasyl einer Art Selbstinhaftierung gleich«, beschreibt sie die Gefühlslage. Es gibt keine Verpflichtung das Kirchenasyl aufrechtzuerhalten. Betroffene wie auch die Asylgeber können jederzeit das Kirchenasyl beenden.

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Online-Redaktion

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