DDR
Für einen Hamburger über Ungarn nach Duderstadt

Blick auf das niedersächsisch-thüringische Grenzlandmuseum Eichsfeld  | Foto: epd-bild / Christian Mühlhause
  • Blick auf das niedersächsisch-thüringische Grenzlandmuseum Eichsfeld
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Ein Projekt mit Schülern aus Ost- und Westdeutschland thematisiert den musikalischen Protest in der DDR und heute. Das Ergebnis, eine einstündige Revue, kam jetzt in Göttingen zur Aufführung.

Von Reimar Paul (epd)

Am Schluss stehen sie alle auf der Bühne: Die 16 Jugendlichen, zwei Lehrerinnen, Projektleiter Patrick Hoffmann sowie Theaterpädagogin Gabi Michel-Frei, Schauspielerin Andrea Strube und Musiker Michael Frei vom Deutschen Theater (DT) Göttingen. „Was gibt uns Kraft, wenn alle Dämme brechen?“, singen sie: „Was gibt uns Halt, wenn kaum jemand mehr steht?“ Das Lied ist das Finale der knapp einstündigen Werkschau des Projekts „Protest in der Musik“, die am Freitagnachmittag vor Eltern und Freunden der Beteiligten im DT-Keller präsentiert wurde.

Die Mädchen und Jungen sind Schüler des katholischen Gymnasiums Bergschule St. Elisabeth im thüringischen Heiligenstadt und des Göttinger Otto-Hahn-Gymnasiums. Eine Woche lang haben sie sich mit der Geschichte der DDR, der Situation in anderen Unrechtsstaaten und den Möglichkeiten und Formen musikalischen Protests auseinandergesetzt. Sie konnten sich an ihren Schulen selbst in das Projekt einwählen, erzählen sie. Und wohnten eine Woche zusammen in Göttingen, arbeiteten und recherchierten dort gemeinsam. Träger des Vorhabens sind das Grenzlandmuseum Eichsfeld und das Deutsche Theater. Gefördert wird es mit Mitteln der Bundesstiftung Aufarbeitung in Berlin.

„Im Grenzlandmuseum setzen wir sehr gern Projekte um, bei denen es um Geschichte geht und die zugleich einen künstlerischen Anspruch haben“, sagt Patrick Hoffmann, der in der Einrichtung als Museumspädagoge tätig ist. In der ersten Projektphase sei es um die Analyse von gesellschafts- und regimekritischer Musik aus der DDR gegangen. Exkursionen führten die Jugendlichen ins Grenzlandmuseum und nach Erfurt. In der thüringischen Landeshauptstadt besuchten sie die ehemalige Untersuchungshaftanstalt der DDR-Staatssicherheit in der Andreasstraße, das Stasi-Unterlagen-Archiv und trafen einen früheren politischen Häftling.

Der Außenbereich des Museums, wo noch Reste von Sicherungsanlagen der DDR erhalten sind, führte den Jugendlichen das damalige strenge Grenzregime vor Augen. „Was, wenn wir damals jung gewesen wären und von Heiligenstadt zum McDonald's nach Duderstadt gewollt hätten?“, sinnieren zwei Jungen bei der Werkschau. Die Grenze war befestigt und mit Selbstschussanlagen versehen. Autos, in denen man sich hätte verstecken können, wurden scharf kontrolliert. Die einzige Möglichkeit: Ein Umweg über Ungarn, „aber das wäre ganz schön weit gewesen für einen Burger mit Pommes“.

Aus der Beschäftigung mit einer originalen Stasi-Akte in Erfurt haben die jungen Leute ein Theaterstück entwickelt, das sie in Göttingen präsentieren. Darin überwachen Stasi-Leute eine als „Montagstreffen“ bezeichnete Zusammenkunft Oppositioneller. Der Diskussionsleiter wird wegen Rädelsführerschaft verhaftet und zu einem Jahr Knast verurteilt.

Aber es geht nicht nur um die DDR, die Jugendlichen thematisieren auch gegenwärtige Probleme und Proteste und ziehen in einer Demonstration über die Bühne. „Wir sind das Volk“, skandieren sie, aber auch: „Freiheit für den Iran“ und „Black Lives Matter“. Auf Pappschildern steht „Die Uhr tickt“, „Hautfarbe ist kein Verbrechen“ oder „Für ein offenes Land mit freien Menschen“.

Der Protestsong zum Abschluss nimmt ebenfalls Bezug auf aktuelle Konflikte: „Immer schneller, immer mehr, der Markt regiert, das ist nicht fair“, singen die Mädchen und Jungen laut ins Publikum: „Gewinne steigen, Preise sprengen, Konzerne lassen uns hängen. Die Erde am Ende und alles stirbt. Wir brauchen eine Wende, weil Konsum uns verdirbt.“ Alle Lieder und Szenen der Werkschau wurden von den Schülerinnen und Schülern selbst getextet.

Autor:

Katja Schmidtke

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