Nachgefragt
Was damals wirklich geschah: entführt, gereift, verändert

Christopher Spehr | Foto: Uni Jena

Für das Leben des Reformators sei die zehnmonatige Schutzhaft auf der Wartburg eine Zäsur gewesen, sagt der Jenaer Kirchenhistoriker und Dekan der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität, Christopher Spehr, im Gespräch mit Dirk Löhr.

Was genau geschah am 4. Mai 1521?
Christopher Spehr:
Dank intensiver Quellenforschung können wir heute unabhängig von den Narrativen späterer Generationen die Geschehnisse rekonstruieren: Auf der Rückreise von Worms nach Wittenberg hatte Luther bei Verwandten in Möhra übernachtet. Von dort brach er am 4. Mai Richtung Waltershausen auf. Begleitet wurde der Augustinermönch vom Wittenberger Professorenkollegen Nikolaus von Amsdorf und Ordensbruder Johannes Petzensteiner. In der Nähe der Burg Altenstein wurde die Kutsche von fünf Reitern überfallen und Luther verschleppt. Amsdorf, der wie Luther in die von Kurfürst Friedrich dem Weisen angeordnete Geheimaktion eingeweiht war, protestierte lautstark, während Petzenstein vom Wagen sprang und floh. Um ihre Spuren zu verwischen, ritten die Entführer auf Umwegen durch den Thüringer Wald. Abends gegen elf Uhr kamen sie auf der Wartburg bei Eisenach an. Dort wurde er vom Burghauptmann Hans von Berlepsch in Empfang genommen.

Wie bedroht war Luthers Leben?
Nachdem Luther durch die römische Kirche bereits als Ketzer verurteilt worden war, hatte nach mittelalterlichem Ketzerrecht die weltliche Verurteilung zu folgen. Der Kaiser verhängte über Luther und seine Anhänger dann auch im Wormser Edikt vom Mai 1521 die Reichsacht. Jeder mache sich strafbar, der Luther beherberge oder ihm helfe. Stattdessen solle er gefangen genommen und ausgeliefert werden. Das Verstecken Luthers diente somit seinem Schutz.

Wie lange hielt der Schein?
Über Luthers Schicksal kursierten die wildesten Gerüchte. Albrecht Dürer in Nürnberg etwa hatte gehört, dass Luther tot sei. Andere behaupteten, er sei von Freunden nach Franken verschleppt worden oder halte sich in Böhmen auf. Dass Luther tot sei, wurde allerdings bald widerlegt. Luther schrieb seinen Freunden, sie sollten bekanntmachen, er lebe und halte sich an einem geheimen Ort auf. Nur wenige wussten, wo er war.
Wie erging es ihm auf der Burg?
Er bewohnte eine Stube und Schlafkammer, durfte Briefe nur über den Burghauptmann und den kurfürstlichen Sekretär Georg Spalatin verschicken und beklagte seinen Freunden gegenüber die ungewohnte Tatenlosigkeit und gesundheitliche Probleme. Versorgt wurde er durch zwei Diener. Haupthaar und Bart ließ er zur Tarnung wachsen und nahm die Gestalt eines Ritters an. Erst nach Luthers Tod wurde er als „Junker Georgen“ oder „Junker Jörg“ bezeichnet. Anfangs vertrieb er sich seine Zeit mit dem Studium der hebräischen und griechischen Bibel. Schon bald wurde er wieder aktiv und verfasste insgesamt 17 teils umfangreiche Schriften.

Warum übersetzte Luther das Neue Testament?
Bei seinem kurzen Aufenthalt im Dezember 1521 in Wittenberg hatten ihn seine Freunde ermutigt, die Bibel ins Deutsche zu übersetzen. Zwar gab es bereits deutschsprachige Ausgaben, doch fehlte diesen die sprachliche Prägnanz und Verständlichkeit. Zurück auf der Wartburg übersetzte er das Neue Testament vom Griechischen ins Deutsche in nur elf Wochen. Das Wort Gottes gelte allen Menschen und sollte daher allen zugänglich sein.
Ging es auch ums Geschäft?
Luther selbst verdiente an seiner Übersetzung keinen Cent. Ihm ging es um die Verbreitung des Evangeliums. Bei seiner Übersetzung folgte er zwei Prinzipien: Wort für Wort, und dort, wo eine wörtliche Übersetzung schwierig war, dem Sinn nach. Eine Stelle, in der er dem Sinn folgte, ist Römer 3,28. Hier ergänzt er das Wörtchen „allein“: „Allein durch den Glauben“. Luthers Übersetzung war nicht nur seriös, sondern übertraf auch alle Übersetzungen an Wortgewalt und Sprachgestalt.

War der Wartburg-Aufenthalt nur eine Episode?
Nein, die Monate auf der Burg waren eine Zäsur. Der junge, eruptive Luther avancierte zur Autorität, der überstürztes Handeln ablehnte.

(epd)

Autor:

Online-Redaktion

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