EKM-Landesbischof Kramer
Hilfe für gefährdete Afghanen ist nicht diskutierbar

Landesbischof Friedrich Kramer | Foto:  EKM

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat Landesbischof Friedrich Kramer innenpolitische Konsequenzen gefordert. Auslandseinsätze der Bundeswehr dürften nur noch eine absolute Ausnahme sein, sagte Kramer im Gespräch mit Dirk Löhr.

Wie sehr haben Sie die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan überrascht?
Friedrich Kramer: Dass die Taliban über kurz oder lang die Macht zurückerobern könnten, war den meisten Beobachtern wohl klar. Dass dies aber in einer solch rasenden Geschwindigkeit geschah, ist dramatisch und erschütternd. Es zeigt auch, wie schwierig es manchmal ist, Wirklichkeiten auch als real wahrzunehmen. Es ist deutlich geworden, dass eine starke Militärmacht wie die USA vieles unter der Decke halten kann. Aber das bildet nicht die realen und auch mentalen Wirklichkeiten im Land ab. Afghanistan zeigt, dass ein sogenanntes Nation-Building mit militärischen Mitteln nicht funktioniert.

Der Westen hat bei vielen Menschen in Afghanistan Hoffnungen geweckt. Was geschieht mit Ihnen jetzt?
Ich denke da gerade an die Frauen, die studieren oder sogar kurz vor einem Abschluss stehen – das ist schon alles hochdramatisch. Wir können und müssen uns stark machen für Menschlichkeit und eine unbürokratische Hilfe für all die Menschen, die uns in der Vergangenheit unterstützt haben und die jetzt das Land verlassen wollen. Es ist ganz wichtig, dass wir der Mitmenschlichkeit Raum geben und nicht in Diskussionen wie 2015 verfallen.

Dennoch muss in der nächsten Zeit mit einigen Flüchtlingen aus Afghanistan gerechnet werden.
Ich glaube gar nicht, dass so viele Menschen zu uns kommen. Vieles wird davon abhängen, welche Richtung sich bei den Taliban durchsetzt. Nichtsdestotrotz wird es auch eine Aufgabe der Kirche sein, deutlich zu machen, dass wir unsere afghanischen Helfer jetzt unterstützen müssen. Leider hat man das wohl etwas schleifen lassen; diese Menschen müssten schon längst aus Afghanistan rausgeholt worden sein. Wenn ihnen als vermeintlichen Kollaborateuren jetzt Gefahr bis hin zu Leib und Leben droht, ist es doch völlig fraglos, dass ihnen geholfen werden muss. Was die Zahl der möglichen Flüchtlinge angeht, so stellt sich die Lage anders als etwa in Bezug auf Syrien dar. Ganz einfach, weil der Krieg erst einmal vorbei ist. Viele Menschen werden nun abwägen: Kann ich unter und mit den Taliban leben? Aber es steht wohl außer Frage, dass vielen Gebildeten und Liberalen am Ende nur die Flucht bleibt. Denen können wir die Tür nicht zuschlagen. Das ist gar nicht diskutierbar für mich.

In den christlichen Kirchen werden Traditionen wie Friedensgebete oder Friedendekaden gepflegt. Aber erreichen sie – wie noch zu Zeiten der Systemauseinandersetzung in der DDR – die Menschen?
Für uns als Christen heißt es jetzt, unsere Friedengebete zu verstärken. Das Thema darf nicht nur eines sein, das ein paar Friedensbewegte umtreibt. Frieden ist unsere grundkirchliche Aufgabe und damit auch jeden Sonntag Thema im Gottesdienst. Für uns Christen kommt Frieden letztlich von Gott. Unsere Möglichkeiten sind nach unserem Verständnis zwar begrenzt, aber diese Möglichkeiten gilt es zu nutzen. Die letzte mitteldeutsche Synode hat ja nicht von ungefähr darüber diskutiert, wie sie eine Kirche des gerechten Friedens werden kann.


"Auslandseinsätze der Bundeswehr dürfen nur noch eine absolute Ausnahme sein"

Was macht das Thema Frieden für uns Deutsche, für die der letzte Krieg über sieben Jahrzehnte zurückliegt, so aktuell?
Das wird doch am Beispiel Afghanistan ganz deutlich: Militärische Macht führt zu Illusionen, die letztlich nicht real sind. Es führt doch an Gesprächen und Verständigung, auch an Wertschätzung des Anderen, kein Weg vorbei. Ein Taliban ist doch per se nicht todeswürdig, er ist auch ein Mensch. Das geht in der ganzen Kampfrhetorik leider schnell unter. Deshalb müssen wir als Kirche diese Themen nach vorne bringen.
60 Deutsche sind in Afghanistan gestorben. Da wird doch wohl die Frage erlaubt sein: wozu? Wer verantwortet diese Toten? Da müssen wir kritischer miteinander umgehen.

Die Aussage, unsere Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt …
… war schlicht falsch. Margot Käßmann hat 2010 in der Dresdner Frauenkirche das Grundthema richtig benannt und ist inzwischen auf erschütternde Weise bestätigt worden. Ich plädiere dafür, auf die Kernidee des Grundgesetzes zurückzukommen. Übernahme von Verantwortung besteht nicht darin, dass man versucht, Demokratien in anderen Ländern zu installieren. Auslandseinsätze der Bundeswehr dürfen nur noch eine absolute Ausnahme sein.

Was bedeutet Afghanistan für den christlich-muslimischen Dialog in Deutschland?
Zunächst: Wir dürfen nicht blauäugig sein. Aber es geht nicht ohne Verständigung, ohne das Ausräumen gegenseitiger Verdächtigungen. Das gilt auch für den islamischen Religionsunterricht. Er darf nicht in Bereichen gedrängt werden, die vor der Öffentlichkeit verborgen sind.
Ich halte ihn an den Schulen für sehr, sehr zielführend und unterstütze das Kooperationsmodell des Staates bei der Lehrerausbildung. Das ist angesichts der Zersplitterung der islamischen Gemeinschaft, der vielen Verbände, die für ihre Gläubigen sprechen, sicher nicht einfach. Aber der Islam hat, als Teil der deutschen Wirklichkeit, die gleichen Rechte wie alle anderen Religionen auch. Daran kann kein Zweifel bestehen. (epd) Nachgefragt "Übernahme von Verantwortung besteht nicht darin, dass man versucht, Demokratien in anderen Ländern zu installieren"

Autor:

Online-Redaktion

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