Geistliches Wort zu Weihnachten
Dennoch!

Die evangelische Kirche Altenburg bei Nienburg (Saale).  | Foto: Heiko Rebsch
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Fürchtet euch nicht! Das scheint in diesen Tagen leichter gesagt als getan. Warum wir als Christen Hoffnung haben, wird Weihnachten deutlich.

Von Joachim Liebig

Die vor kurzem verstorbene Queen Elisabeth II. sprach 1992 von einem „Annus horribilis“ – einem furchtbaren Jahr. Unabhängig von den Sorgen der Königin, die Pro-bleme mit der Ehe ihres ältesten Sohnes sowie einem brennenden Schloss hatte, können sich auch in diesem zu Ende gehenden Jahr unzählige Menschen ihrer Einschätzung anschließen. Allen voran die Frauen, Männer und Kinder in der Ukraine. Es bleibt schwer vorstellbar, dass in einem europäischen Land absichtsvoll die Versorgung mit Wärme, Wasser und Strom zerstört wird, um die Bevölkerung zu zermürben. Dabei stehen die Menschen in Kiew und Odessa für alle anderen Kriegsgebiete, von denen kaum noch berichtet wird. Es herrscht weiterhin Krieg in Mali und in Syrien, die Lage in Myanmar ist bedrückend.

Konnten wir in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland die Kriege für uns auf Distanz halten, so sind die Folgen des Krieges in der Ukraine nun für uns alle spürbar. Die historisch hohe Inflationsrate lässt uns alle buchstäblich ärmer werden. Die für uns lange selbstverständliche Versorgung mit günstiger Energie ist an ein Ende gekommen. Auch unser Land ist im Krisenmodus. Dabei hatten wir gerade gehofft, in der ausklingenden Pandemie wieder zu einer Art Normalität zurückfinden zu können. Es ist nicht verwunderlich, wenn Menschen nach Jahren der Anspannung nun auf diese neue Herausforderung mit Furcht und Resignation, ja Hoffnungslosigkeit reagieren.

Kann die Zukunft Gutes für uns bereithalten? Müssen wir uns auf noch schlimmere Zustände einstellen? Was ist aus dem Versprechen geworden, unseren Kindern möge es besser gehen als uns? Hinzu tritt die Sorge um die Zukunft unseres Planeten. Ist ein erneut sehr heißer Sommer tatsächlich ein Vorbote für tropische Temperaturen auch in unseren Regionen? Und wenn ja, was bedeutet das für die Landwirtschaft und unsere Wasserversorgung? Es trifft zu, was Jürgen Henkys 1980 in dem Lied „Gib Frieden, Herr, gib Frieden“ (EG 430) nachdichtete: „Die Welt nimmt schlimmen Lauf“.

Seltsam aus der Zeit gefallen scheint in diesem Jahr wieder die Friedensbotschaft der Weihnachtsgeschichte. Wer möchte aus vollem Halse „O du fröhliche“ singen? An dieser Stelle ist es nötig, den Blick ein wenig zu weiten. Ehrlicherweise müssen wir zugeben, selbst die Vielzahl unserer aktuellen Sorgen ist nur ein kleiner Teil der Not, die Menschen zu allen Zeiten quälte. Bei aller Nähe zum Kriegsgeschehen in der Ukraine unterscheidet sich unsere Lage fundamental von der unserer Eltern und Großeltern, die in ausgebombten deutschen Städten leben mussten. Oder von der Situation des Liederdichters Paul Gerhardt in einem entvölkerten Land während des Dreißigjährigen Krieges.

Dabei geht es nicht darum, mit einem faden „alles nicht so schlimm“ die Sorgen unserer Zeit zu nivellieren. Es kommt aber sehr wohl darauf an, die in Teilen selbstverliebte Zentrierung auf das eigene Wohl in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Damit mindern sich nicht die Nöte, doch wir stellen der furchterregenden Macht pessimistischer Weltsicht etwas entgegen.

Mit diesen Gedanken springen wir mitten in die Weihnachtsgeschichte. Der Gottessohn, in größter Not geboren, trägt gerade deswegen das Heil der Welt in sich. Sollten wir unseren christlichen Glauben in einem Wort zusammenfassen können, so wäre es neben „Christus“ das schlichte „Dennoch!“ Gerade weil wir in der Welt und unserem eigenen Leben gefangen und damit beständig gefährdet sind, setzen wir dem als Glaubende dieses trotzige „Dennoch“ entgegen. Oft wird uns unterstellt, wir täten das in kindlicher Naivität, würden die Realität leugnen. Wäre es so, hätten wir ein „Dennoch“ nicht nötig. Weil wir unsere Hoffnung aber nicht aus der Welt beziehen und weil unser Glaube über diese Welt und ihre Ambivalenzen hinausreicht, sind wir nicht abhängig von den Deutungen, die die Welt sich selbst gibt.

Als Glaubende leben wir aus der Gewissheit, verantwortlich für diese Welt und zugleich Teil von Gottes Heil zu sein. Daher gilt uns in besonderer Weise die Forderung der Engel an die Hirten: „Fürchtet euch nicht!“ Seit 2000 Jahren ist die Geschichte der Geburt Christi eine Geschichte der Furchtlosigkeit in einer kalten Welt – eine Quelle der Hoffnung und Zuversicht für Menschen, die daraus Kraft für ihr eigenes Leben schöpfen. Seit 2000 Jahren sind es diese kraftvollen Menschen, die – „dennoch!“ – die Welt zu einem besseren Ort machen und nicht verzweifeln angesichts der scheinbaren Hoffnungslosigkeit ihres Tuns. Die Botschaft der Weihnachtsgeschichte war immer heilsnotwendig. In der sorgenvollen Zeit unserer Gegenwart wird sie uns trösten und – wenn auch zaghaft – in den Jubel von „O du fröhliche“ einstimmen lassen.

In den Gottesdiensten des Christfestes, bei Weihnachtskonzerten und anderen Gelegenheiten kommen wir dieser Geschichte nahe, werden getröstet und finden neuen Mut. Aus einem „Annus horribilis“ wird dann eine Zeit der Hoffnung und Zuversicht. Seit 2000 Jahren wartet die Welt auf genau diesen Gedanken, den wir Glaubenden ihr schulden. Ein gesegnetes Christfest!

Der Autor ist Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts.  

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