Arbeiter, Industrie und Kirche

Symbol der Industrialisierung: Die Dampfmaschine (Modell aus dem Stadtmuseum Gera) veränderte  die Arbeitswelt, wie einst  die Druckerpressen und  heute die Digitalisierung. 
Die Kirche hatte damals den Anschluss an die Arbeiterbewegung verpasst. Das soll bei der Digitali-
sierung nicht passieren. | Foto: MVT
  • Symbol der Industrialisierung: Die Dampfmaschine (Modell aus dem Stadtmuseum Gera) veränderte die Arbeitswelt, wie einst die Druckerpressen und heute die Digitalisierung.
    Die Kirche hatte damals den Anschluss an die Arbeiterbewegung verpasst. Das soll bei der Digitali-
    sierung nicht passieren.
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Industrielle Revolution: Wer denkt dabei nicht zuerst an die großen Zentren im Ruhrgebiet oder an das sächsische Chemnitz? Doch der Blick täuscht.
Von Harald Krille

Das vom Freistaat Thüringen in diesem Jahr ausgerufene Themenjahr lautet: »Industrialisierung und soziale Bewegungen in Thüringen«. Es will deutlich machen, dass auch Thüringen und Mitteldeutschland ein Zentrum der industriellen Revolution war. Ob die Glas- und Porzellanindustrie im Thüringer Wald, die Textilindustrie in Ostthüringen, die Waffenschmiede Suhl oder die feinmechanisch-optischen Betriebe in Jena: Die Ablösung der handwerklich-manufakturmäßigen Produktion brachte so manche Brüche und Verwerfungen mit sich. Ausdruck dafür sind die sozialen Auseinandersetzungen dieser Zeit und die Geschichte der Arbeiter-
bewegung.
Auch hier stehen Thüringen und Mitteldeutschland im Zentrum der Entwicklung. War es doch in Luthers »lieber Stadt« Eisenach, wo 1869 von August Bebel und Wilhelm Liebknecht die erste Sozialdemokratische Arbeiterpartei gegründet wurde. 1875 schloss sich diese in Gotha mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zusammen, dem direkten Vorläufer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der SPD.
Und wiederum in Mitteldeutschland, dem damals zu Preußen gehörendem Erfurt, beschloss die gestärkt aus den Auseinandersetzungen um Bismarcks Sozialistengesetze hervorgegangene SPD ihr neues Grundsatzprogramm. Ein Jahr später tagte in der thüringischen Kleinstadt Pößneck der erste Kongress der deutschen Textilarbeiter und -arbeiterinnen. Man kann Mitteldeutschland mit Fug und Recht als das Kernland der Arbeiterbewegung bezeichnen.
Zu den großen Brüchen jener Zeit gehört denn auch die Entfremdung der Arbeiterschaft von den Kirchen. Das hatte mit Entwicklungen auf beiden Seiten zu tun. Zum einen: »Die frühe Arbeiterbewegung und die junge SPD erfuhren ihre denkerischen, philosophischen Prägungen ganz wesentlich durch die Religionskritik der materialistischen französischen Aufklärungsphilosophien, durch Feuerbach und Marx, durch den Zeitgeist des 19. Jahrhunderts, der geprägt war durch Darwinismus und den Positivismus und Optimismus der Wissenschaften«, so der SPD-Politiker Wolfgang Thierse bei einer ökumenischen Akademietagung. Und auf der anderen Seite machte, so Thierse weiter, »die Emanzipationsbewegung der Arbeiterschaft (…) die einfache und brutale Erfahrung, dass sich zu ihrer Abwehr die politischen Gegner mit Kirche und Religion wappneten, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu verteidigen, die die Arbeiterbewegung zu überwinden trachtete.
Die unselige Verbindung von Thron und Altar verhinderte – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die Wahrnehmung der sozialen Nöte des Industrieproletariats. Der Hallenser Kirchenhistoriker Axel Noack spricht auch von einer »Versagensgeschichte der Kirche« (siehe Seite 3). Kaum bekannt dürfte sein, dass die Jugendweihe als Gegenstück zur kirchlichen Konfirmation in Nordhausen von dem evangelischen Theologen Eduard Baltzer 1852 erstmals in Szene gesetzt wurde. Nachdem Baltzer wegen seiner Ablehnung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses aus dem Pfarrdienst vertrieben wurde, gründete er 1847 die »Freie Protestantische Gemeinde Nordhausen«. Sie wurde zu einem Zentrum der »freireligiösen Bewegung« und letztlich der atheistischen Freidenker, die 1881 wiederum im thüringischen Gotha das erste Krematorium Deutschlands als Symbol gegen den Auferstehungsglauben bauen ließen.
Bleibt am Schluss noch der Hinweis: Wer mehr über die Thüringer Industriegeschichte wissen will, sollte nach Pößneck fahren. Vom 6. Juni bis 9. September ist in der dortigen Shedhalle die Ausstellung »Erlebnis Industriekultur – Innovatives Thüringen seit 1800« zu sehen.

www.industriekultur-thueringen.de

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Online-Redaktion

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