Rave in der Kirche
Was von den Beats bleibt

Tanzen unterm Kreuz: Zur Techno-Party kamen 750 Gäste in die Predigerkirche. Die Veranstaltung wurde im GKR kontrovers diskutiert. | Foto: Paul-Philipp Braun
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  • Tanzen unterm Kreuz: Zur Techno-Party kamen 750 Gäste in die Predigerkirche. Die Veranstaltung wurde im GKR kontrovers diskutiert.
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In der 800-jährigen Geschichte der Kirche Meister Eckharts hatte es so etwas noch nie gegeben: ein Techno-Rave mit Licht-Show und sechs Stunden lauter Musik. Rückschau und Ausblick.

Von Angelika Reiser-Fischer

Über 750 waren gekommen, meist junge Leute, die bis zu vier Stunden im Regen vor der Predigerkirche gewartet hatten, um dann – wegen des großen Andrangs – oft nur eine Stunde zu tanzen. Am Eingang hatten sie zehn Euro Eintritt bezahlt, manche eine Lebensmittelspende für die Erfurter Tafel abgegeben: Nudeln, Reis, Dosensuppen.

"Super, vielen vielen Dank“, sagten die einen am Ausgang. „Zu laut“, sagten andere, die vorbei gingen, oder auch, dass so was nicht in eine Kirche gehöre. Auch Kantor Matthias Dreißig soll kurz hereingekommen und besorgt nach seiner Orgel geschaut haben.

Schließlich hatte es so etwas in der 800-jährigen Geschichte der Kirche Meister Eckharts noch nie gegeben: ein Techno-Rave. Mit Licht-Show, sechs Stunden lauter Musik, einer Tanzfläche im Kirchenschiff, bunt gekleideten Besuchern. Dabei war die Veranstaltung schon im Vorfeld von einigem Für und Wider begleitet.

Vikarin Anne Heisig hatte die Idee zum Rave. Das Projekt gestaltete sie im Rahmen ihrer Ausbildung. „Machen Sie ruhig etwas Experimentelles, was Sie schon immer mal machen wollten“, hatte ihr der Fachbegleiter geraten. „In den USA und in Tansania, wo ich schon war, ist es ganz normal, in der Kirche zu tanzen“, erzählt die 31-Jährige. Also warum nicht auch in der Predigerkirche?

Als sie Pfarrer Holger Kaffka und dem Gemeindekirchenrat im November den Techno-Rave vorschlug, war man aber erstmal baff. „Ich wusste ja gar nicht so genau, was das ist – auch nicht, ob das überhaupt umzusetzen wäre, mit welchem Aufwand“, so Pfarrer Kaffka. Andererseits, so seine Überlegung: „Die Gesellschaft hat sich verändert. Wie können wir der jungen Generation vermitteln, dass Kirche ein guter Lebensraum ist? Wie kommen wir an ihre Bedürfnisse ran?“ Da sei Handlungsbedarf, fand er, und der Rave doch eine Chance.

Im Gemeindekirchenrat brauchte man erst einmal Zeit, um die Idee zu verdauen und sich zu informieren. Es gab ernste Bedenken, so von Klaus Brockhoff, einem der Kirchenältesten: „Ich finde einen Rave in der Predigerkirche unangebracht“, meinte er. Eine Kirche sei ein Raum der Begegnung mit Gott, durch Gottesdienst, Gebet, auch Kunst. Kurzum: ein Ort für Stille und Andacht. Techno ist das Gegenteil – und vor allem: laut. „Ja, Kirche muss und darf ganz bestimmt neue Wege beschreiten und Neues wagen. Für mein Gefühl besteht jedoch die Gefahr, die Grenze zur Beliebigkeit zu überschreiten. Anderenfalls machen wir uns zum Veranstaltungszentrum.“ Sein provokanter Gedanke: Wie wär es dann mit Sportveranstaltungen in der Kirche? Volleyball zum Beispiel – immerhin verbinde Teamsport ja auch Menschen.

Doch ohne den Gemeindekirchenrat würde es nicht gehen, war Anne Heisig klar. Eine knappe Mehrheit stimmte schließlich für den Rave. „Aber auch diejenigen, die dagegen waren, haben sehr sachlich argumentiert und sich schließlich zu der demokratischen Abstimmung bekannt“, sagte sie. Mit ins Boot geholt wurden der Stadtjugendpfarrer Klaus Zebe, die Evangelische Jugend und der Erfurter Club „Kalif Storch“.

Wie ist es nun gelaufen? Alle Erwartungen seien positiv übertroffen worden, sagt Pfarrer Holger Kaffka. „Eine ganze Kirche voller gelassener, freundlicher, fröhlicher Menschen. Und es waren die interessantesten sechs Stunden meiner Dienstzeit.“ Der Respekt vor dem Raum sei zu keiner Zeit verletzt worden. Alle Kunstschätze seien unversehrt geblieben, und auch keinen unangenehmen Zwischenfall habe es gegeben. Er habe gelernt, dass Tanz etwas Spirituelles hat, sagt Kaffka. Geistliche Worte gab es nicht, nur Spiritualität – im Tanzen.

Geistiges hätte aber beim Nachsinnen im Schwarzlichtzelt eine Rolle gespielt, so bei Fragen wie „Gibt es ein Leben nach dem Tod?“ oder „Gott, magst du mich?“. „Wer von den Gästen künftig an unserer Kirche vorbei geht, wird sich mindestens an diesen tollen Abend erinnern“, sagt der Pfarrer. Und vielleicht zu neuen Fragen kommen: „Ist es unsere Aufgabe, Räume für die unmittelbare Herzensfrömmigkeit zu öffnen? Oder geht es eher darum, biblisches Wort zu verkündigen?“, fragt er und stellt fest: Da ist viel Stoff für weitere spannende Debatten.

Die Lebensmittelspenden sind inzwischen übrigens bei der Erfurter Tafel angekommen. Anne Heisig zieht glücklich ihr Fazit: „Eine rundum positive Erfahrung. Wem die Verkündigung gefehlt hat, dem muss ich sagen: Dafür ist Vertrauen nötig, nur dann wird auch jemand zuhören.“

Klaus Brockhoff aber bleibt dabei: „Wir müssen nicht alles ausprobieren, und die Veranstaltung wird der Zweckbestimmung und dem Geist des Raumes für mein Gefühl nicht gerecht.“ Holger Kaffka ist dankbar: „Es waren tolle Menschen da. Obwohl ich zuerst gezweifelt habe, bin ich jetzt sicher: es war gut so. Es hat mich im Herzen ergriffen, wieviel Dankbarkeit am Schluss da war. Dass wir das wiederholen, glaube ich derzeit nicht. Aber vielleicht korrigiere ich mich.“

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