Kirchen
Bei Bier und Saft geht es um Atommüll und Radioaktivität

Der Physiker und Strahlenschutz-Experte Rainer Gellermann sitzt gemeinsam mit den beiden Ruhestands-Diakonen Bodo Walther und Paul Koch (v.l.) in einem Gasthaus im niedersächsischen Schöppenstedt. Vor vier Jahren gründeten sie in dieser Runde den sogenannten „Strahlenschutz-Stammtisch Braunschweiger Land“. | Foto: epd-bild/Charlotte Morgenthal
  • Der Physiker und Strahlenschutz-Experte Rainer Gellermann sitzt gemeinsam mit den beiden Ruhestands-Diakonen Bodo Walther und Paul Koch (v.l.) in einem Gasthaus im niedersächsischen Schöppenstedt. Vor vier Jahren gründeten sie in dieser Runde den sogenannten „Strahlenschutz-Stammtisch Braunschweiger Land“.
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Was passiert mit dem Atommüll in der Asse und was wird aus dem geplanten Endlager Schacht Konrad? Seit Jahrzehnten sorgen sich Anwohner. Und Kirchen mahnen mit Andachten, Gottesdiensten und auch einem «Strahlenschutz-Stammtisch».

Von Charlotte Morgenthal (epd)

Nur auf den ersten Blick wirkt die Versammlung in der Stube eines Restaurants wie ein gewöhnlicher Stammtisch. Die Gäste, die an dem heißen Sommertag die Treppe heraufkommen, bestellen Radler, Bier oder Apfelschorle. Alles wird auf Bierdeckeln notiert. Doch in dem Gasthaus im niedersächsischen Schöppenstedt dominiert ein Thema. Intensiv diskutieren die Anwesenden über die Berechnung der biologisch-phsysikalischen Halbwertszeit von atomarer Strahlung.

Das Atommülllager Asse liegt nur acht Kilometer Luftlinie entfernt. In dem früheren Salzbergwerk lagern rund 126.000 Fässer mit radioaktiven und chemischen Abfällen. Weil die Grube instabil ist, sollen die Behälter nach Möglichkeit geborgen werden. Auch das frühere Eisenerzbergwerk Konrad bei Salzgitter, das zurzeit zum Bundeslager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle ausgebaut wird, ist nicht weit entfernt.

Um die Sorgen der Menschen aufzunehmen, hat der frühere Sozialdiakon Paul Koch den Stammtisch gegründet, der sich bereits zum 28. Mal trifft. Zu den Treffen lädt er regelmäßig auch Experten ein.
An diesem Abend hält der Wissenschaftler Wolfgang Schulz von der Leibniz Universität Hannover einen Vortrag. Mit einer Power-Point-Präsentation erläutert er, wie radioaktive Strahlen an Obst und Gemüse gemessen werden können.

Koch engagiert sich seit vielen Jahrzehnten auch in der Erinnerungsarbeit an die Nuklear-Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima. Anfang der 1990er Jahre gehörte er zu den Organisatoren der ersten Erholungsaufenthalte für die sogenannten Tschernobyl-Kinder in Deutschland. Er hat sich den Begriff «Nuklearseelsorge» vor vier Jahren ausgedacht und dazu auch einen Blog gestartet. «Inzwischen hat er sich eingebürgert», sagt er.

Auf der Internetseite wird insbesondere das seit Jahrzehnten bestehende Engagement von Kirchenvertretern zu den Atommüllfragen der Region sichtbar: Seit 2008 werden direkt am Asse-Schacht viermal im Jahr Andachten gefeiert. Auch vor dem Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter-Lebenstedt und am geplanten Endlager Schacht Konrad versammeln sich regelmäßig Menschen zu Andachten.

Der Strahlenschutz-Stammtisch trifft sich etwa dreimal im Jahr, seit der Corona-Pandemie öfter auch online. Die Treffen werden außerdem live im Internet gestreamt, vom Kneipenraum in die weite Welt. An diesem Abend sitzen etwa zwölf Gäste um die Wirtshaus-Tische, manche schreiben konzentriert mit. Der Physiker und Strahlenschutz-Experte Rainer Gellermann gehört zu den Gründungsmitgliedern und lebt in der Region. Diffusen Ängsten mit sachlichen Informationen zu begegnen, sei für ihn ein Ziel, sagt der Wissenschaftler.

Vielen in der Runde ist es wichtig, sich selbst Grundkenntnisse anzueignen. «Wir sind froh über die Experten, die sich nicht scheuen, die Dinge mit uns zu erörtern», sagt Bodo Walther, Diakon im Ruhestand. Denn das Vertrauen in Behörden und staatliche Stellen ist im langen Streit um die Atomanlagen längst verloren gegangen.

Eleonore Bischoff von der «Wolfenbütteler Atom-und-Kohle-Ausstieg-Gruppe» spricht von Statistiken über erhöhte Krebsraten und weniger Mädchen, die im Umfeld von Atomanlagen geboren werden. Auf Fragen zu Ursachen und Grenzwerten hätten sie bis heute keine Antwort bekommen.

Zum Ende des Abends, nach den Vorträgen, werden die Tische zusammen gerückt und die Diskussion lauter. Zu den Stammtisch-Gästen zählt auch der 63-jährige Lutz Seifert. Er wohne «direkt neben der Asse», sagt er, seine Kinder seien dort aufgewachsen. Ihm ist es ein besonders Anliegen, dass geprüft wird, ob nicht Grenzwerte für Strahlung deutlich niedriger angesetzt werden müssten. Wenn die Rückholung des Atommülls aus der Asse zu viele Emissionen verursache, müsste man notfalls darauf verzichten, meint Seifert. Ihm sei wichtig, dass seine Heimat ein lebenswerter Ort bleibe.

Autor:

Katja Schmidtke

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