Weiße Rose
Die unsichtbare Guillotine

Journalist Ulrich Trebbin in München | Foto: kna-bild
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Der Journalist Ulrich Trebbin stieß 2013 auf jene Guillotine, mit der in Bayern Hunderte von Menschen hingerichtet wurden. Darunter waren auch die Mitglieder der NS-Widerstandsgruppe Die Weiße Rose. Über die Geschichte dieses Mordinstruments hat der 55-Jährige nun ein Buch veröffentlicht. Barbara Just (kna) erzählte Trebbin, welche Gefühle hochkamen, als er selbst vor dem Fallbeil stand. Und warum der Apparat nicht weiter versteckt, sondern gezeigt werden sollte.

kna: Herr Trebbin, was trieb Sie an, die als verschollen geltende Guillotine aus dem Gefängnis München-Stadelheim zu suchen?
Trebbin:
Ich habe sie durch Zufall gefunden. Bei den Recherchen zu einer Hörfunksendung für den Bayerischen Rundfunk über den königlich-bayerischen Turmuhrmacher Johann Mannhardt erfuhr ich im Mindelheimer Turmuhrenmuseum, dass dieser geniale Tüftler 1855 auch eine Guillotine gebaut hatte. Heute stünde sie im Bayerischen Nationalmuseum. Als mein Gegenüber sagte, er sei dort am Telefon seltsam abgewimmelt worden, wurde ich hellhörig und rief selber an.

Was passierte?
Der zuständige Fachmann des Museums war erst etwas zögerlich, meinte dann auf Nachfrage, es handle sich
um die Guillotine aus Stadelheim. Da war mir sofort klar, dass es die sein muss, mit der die Geschwister Scholl hingerichtet worden waren.

Hat diese so lange gehalten?
Das ist bayerische Wertarbeit. Mit ihr könnte man heute noch Hinrichtungen durchführen. Mannhardt war ein ausgezeichneter Mechaniker. Er hat als Erster einen schmiedeeisernen Rahmen gebaut, in dem der Schlitten mit dem Fallbeil läuft. Vorher waren Guillotinen ganz aus Holz, weshalb der Messerschlitten oft verkantete und auf halber Strecke hängenblieb. Nur das eingeschraubte Beil - es gab zwei Messer - musste immer wieder geschlien werden.

Obwohl ich fürs Radio schon viel zur NS-Zeit gemacht hatte, hat mich dieser Anblick sehr angefasst. In dem Moment habe ich erst richtig begrien, dass dies alles wirklich geschehen ist.

Sie durften die Guillotine sehen. Wie ging es Ihnen dabei?
Obwohl ich fürs Radio schon viel zur NS-Zeit gemacht hatte, hat mich dieser Anblick sehr angefasst. In dem Moment habe ich erst richtig begrien, dass dies alles wirklich geschehen ist. Mir wurde bewusst: Darauf hat Sophie Scholl gelegen. Ich hätte nicht gedacht, dass es mich so berührt. Zugleich war ich beschämt und wütend. Denn ich fand es ungeheuerlich, dass unsere Vorfahren das tatsächlich gemacht haben.

Beiträge über die Geschwister Scholl enden, dass das Urteil Tod mit dem Fallbeil lautete und am selben Tag
vollstreckt wurde ...

Genau - dann ist Schluss. Beim Anblick der Guillotine wird man damit unmittelbar konfrontiert, was das heißt. Wenn heute manche fordern, etwa Sexualverbrecher hinzurichten, dann sagt sich das leicht. Aber es zu tun und
zuzusehen, ist etwas anderes. In Stadelheim haben die Nazis mit diesem Fallbeil 1.180 Menschen ermordet. Insgesamt sind damit zwischen 1855 und 1945 mindestens 1.323 Todesurteile vollstreckt worden.

Wie lief so eine Hinrichtung in der NS-Zeit ab?
Die Verurteilten lebten in Stadelheim in einem Todestrakt. Da konnten Monate vergehen. War das Begnadigungsgesuch abgelehnt, kam der Betroene in eine Arme-Sünder-Zelle, wo er Gespräche mit dem Pfarrer führen, Abschiedsbriefe schreiben und sein Testament machen konnte - das meist in Handschellen.

Und dann?
War es soweit, wurde der Delinquent über den Hof zu einer Baracke geführt. Dort verlas man ihm nochmal das Urteil; ein Staatsanwalt überwachte alles und sagte: Scharfrichter walten Sie Ihres Amtes. Von der Rückseite zog dann Johann Reichhart einen schwarzen Vorhang auf, hinter dem er gestanden hatte, und die Guillotine wurde sichtbar. Eine Wippe, auf die der Verurteilte geschnallt wurde, ließ Reichhart später abmontieren. Es ging rascher, wenn seine Gehilfen die Person auf die Hinrichtungsbank legten und festhielten. Alles lief in Sekundenschnelle ab. Hinterher musste der Körper eingesargt und der Kopf dazugelegt werden. Der Boden und die Maschine wurden abgespritzt, und schon kam der nächste Verurteilte an die Reihe.

Wie waren die Reaktionen, als sie 2014 die Existenz der Guillotine bekanntgaben?
Die Geschichte ging durch alle Zeitungen. Bayerns damaliger Kunst- und Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle (CSU) berief einen Runden Tisch ein mit Angehörigen der Mitglieder der Weißen Rose, Ethikern und Historikern. Am Ende hieß es, die Guillotine auszustellen, bleibt verboten. Doch einige Teilnehmer sagten hinterher, die Entscheidung habe vorab schon festgestanden. Seither besteht dieses Tabu.

Wie lautete die Begründung?
Man will die Würde der Opfer schützen und die Gefühle der Angehörigen nicht verletzen. Auch sollten Voyeure nicht angezogen werden. Diese Argumente sind wichtig. Aber nach dieser Logik müssten alle KZ-Gedenkstätten zumachen.

Was tun?
Das Präsentieren der Guillotine ist natürlich keine leichte Sache. Aber das Ausstellungsverbot kommt einer Zensur gleich. Das passt nicht zu einem demokratischen Staat. Wir müssen die Freiheit haben, das Stück zu sehen und daran zu lernen. Zudem ist es Aufgabe einer Kulturnation, der Opfer der Todesstrafe zu gedenken. In Bayern gibt es für sie bisher keinen wirklichen Gedenkort. Der einzige ist in Stadelheim - hinter Gittern und inhaltlich völlig belanglos.

Welche Präsentation wäre denkbar?

Möglich wäre eine Dauerausstellung, in der die Guillotine kontextualisiert wird. Dabei sollte erklärt werden,
dass es im Dritten Reich über 40 Delikte gab, auf die die Todesstrafe stand. Neben Widerständlern wurden auch Kleinkriminelle, Asoziale oder Zwangsarbeiter wegen Bagatellen hingerichtet - insgesamt 12.000 in Deutschland. Man sollte aber auch zeigen, welchen Weg Deutschland seit 1945 beschritten hat. Wir haben Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung und keine Todesstrafe mehr. Darauf können wir stolz sein, und das müssen wir schützen. Jede Generation muss das wieder neu lernen. Angesichts der bald nicht mehr lebenden Zeitzeugen könnten solche Exponate helfen, beim Betrachter Emotionen auszulösen, und die sind für tiefgreifendes Lernen wichtig. Gerade jungen Leuten könnte das helfen zu realisieren, was damals passiert ist.
Und sie damit zu Zivilcourage motivieren.

Autor:

Katja Schmidtke

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