Bedrohung für Demokratie und Kirche
Damit Geschichte sich nicht wiederholt

- Gegen Rechtsextremismus: Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) schloss sich 2017 der Aktion "Nächstenliebe verlangt Klarheit" an.
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In der Stuttgarter Erklärung vom 19. Oktober 1945 bekannten die Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland ihre Mitschuld an den Gräueltaten des Nationalsozialismus. Heute steht die Kirche wieder in der Verantwortung, gegen rechtsextreme Strömungen aufzustehen.
Von Sebastian Kranich
Es gibt einen Satz, der sich mir eingebrannt hat, aus einem Bekenntnis der Kirche, formuliert 1945: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Mit diesen Worten bezog sich Annette Behnken im „Wort zum Sonntag“ am 20. September auf das Stuttgarter Schuldbekenntnis.
Nach der Ausstrahlung erhielt sie einen veritablen Shitstorm. Warum? Sie hatte den ermordeten Charlie Kirk einen rechtsradikalen Rassisten genannt. Und sie hatte denjenigen, die sich für Demokratie und Gerechtigkeit einsetzen, Mut und Hoffnung gemacht.
Aus dem eigenen Versagen lernen
Ja, dieses Wort zum Sonntag zeigt es: Es gibt viele in den Kirchen, die etwas aus dem Versagen im Nationalsozialismus gelernt haben. Aber die anderen gab und gibt es auch. Was 1945 in Stuttgart nicht ganz freiwillig bekannt wurde, liest sich mit historischem Abstand eher halbherzig. So, als wäre man zwar klar unter seinen Möglichkeiten geblieben, hätte aber seine Grundhaltung bewahrt. Doch ging diese Selbstanklage vielen Zeitgenossen schon zu weit. Die Entnazifizierung in den Landeskirchen wurde dann mehr oder weniger gründlich betrieben – in West wie Ost.
In Thüringen etwa stellte man letztlich alle deutschchristlichen Pfarrer wieder ein. Und Walter Grundmann, der wissenschaftliche Leiter des kirchlichen „Entjudungsinstituts“, wurde zum maßgeblichen Akteur bei der Durchsetzung der Thüringer Kirche mit Stasi-Kooperateuren, viele von ihnen mit deutschchristlicher Vergangenheit.
Was man aus dem Nationalsozialismus lernen konnte, welche Konsequenzen man aus ihm zog, war offenbar recht unterschiedlich. Nicht nur im Osten meinten manche Kirchenleute, die deutsche Teilung sei als Sühne für das Versagen im Nationalsozialismus hinzunehmen. Ob aus Buße oder aus Bequemlichkeit und Interesse am Erhalt des Status quo, sei dahingestellt.
In der späten DDR jedenfalls zeigten sich in der Fassade des staatlich verordneten Antifaschismus deutliche Risse. Zur entstehenden Neonazi-Szene recherchierte der Filmregisseur Konrad Weiß und veröffentlichte seine Ergebnisse über die „neue alte Gefahr“ im Samisdat der DDR-Opposition. Weiß brachte als Abgeordneter der ersten frei gewählten Volkskammer im April 1990 eine Erklärung auf den Weg, in der die DDR erstmals offiziell bei den Juden für die Shoa um Entschuldigung bat. 1992 adressierte er schließlich in einer Aufsehen erregenden Rede im Bundestag mit dem Thema „Ich schäme mich“ die offene Gewalt von Neonazis gegen Ausländer und die Untätigkeit der Bundesregierung.
Kirche positioniert sich für Demokratie
Konrad Weiß steht als profilierter Kopf für eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem braunen Erbe, die um das Epochenjahr 1989/90 herum erfolgte. Junge Leute hatten sich schon vor der Herbstrevolution spontan um den Erhalt jüdischer Friedhöfe gekümmert und unter dem Dach der Kirche über Faschismus wie Stalinismus diskutiert.
Seit den Baseballschlägerjahren war Kirche fast immer klar positioniert für Demokratie. Kirche stand hinter einem Lothar König und verteidigte dessen antifaschistische Arbeit als Stadtjugendpfarrer in der Jungen Gemeinde Jena gegen polizeiliche Übergriffe und zuletzt gegen Angriffe der AfD. Kirchenkreise und Gemeinden beteiligten sich an vielen zivilgesellschaftlichen Bündnissen und Initiativen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie. Wenn die Antifa Neonazi-Demos mit Sitzblockaden störte, wurden Gegendemo-Punkte in der Stadt vom Posaunenchor gehalten. Eine Kampagne trug den Titel „Nächstenliebe verlangt Klarheit. Kirche gegen Rechtsextremismus“, die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus und insbesondere Opferberatungen leisteten eine wichtige Arbeit. Stand heute lässt sich über die letzten 35 Jahre sagen: Bei allen Unzulänglichkeiten: Es wurde vielfach mutig bekannt.
Doch wirklich ernst wird es jetzt. Die Zivilgesellschaft im Osten ist bedroht und wird auf dem Land, in kleineren und mittleren Städten – vorzugweise über die Verweigerung von Fördermitteln – von der AfD angegriffen. manche Konservative und Normalbürger machen sich damit gemein – bis hinein in den Bundestag. Bisher stehen die Leitungen der beiden großen Kirchen gegen völkisches Denken ein und haben sich – unterschiedlich schnell – Anfang 2024 dem Protest gegen AfD und kleinere rechtsextreme Parteien angeschlossen. Auch die Evangelischen Akademien melden sich kontinuierlich mit „Erklärungen zur Demokratie“ zu Wort. Doch was wird, wenn die AfD im Osten in Landesregierungen kommt? Wer ist dann zuerst dran? Es ist zu hören, dass in Universitäten für diesen Fall schon Resilienzgruppen gebildet werden. Und, machen wir uns nichts vor: Auch in unseren Kirchen hegen nicht wenige Mitglieder zumindest Sympathien für Rechtspopulisten.
„Herz statt Hetze“ heißt ein neuerer Spruch zur Lage. Annette Behnken sprach engagiert in diesem Sinn und wurde von Hasstiraden überschüttet. Klar, Geschichte muss sich nicht wiederholen. Aber sie kann. Wachsamkeit ist deshalb geboten.
Sebastian Kranich ist Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen.
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