Predigt über Lukas 15,1-5
Da hat Ihr Freund uns die schöne Taufe ganz schön versaut!
Liebe Gemeinde von B.
-Der Stein des Anstoßes ist dieser Satz: "Jesus nimmt die Sünder an und isst mit ihnen!"
Auch wir nehmen manchmal an etwas Anstoß: daran, wie einer isst; daran, wie sich einer kleidet, daran, mit wem einer Kontakt hält; daran, was einer sagt, und ob er das, was er sagt, auch lebt? Ganz nach dem Motto: Zeige mir deine Bücher, und ich sage dir, wer du bist. Hier: "Zeige mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist." Das Urteil ist schnell gefällt: Der Mann ist unmöglich! Er hält es mit den Sündern! Das geht gegen alle Regeln: Mit Sündern, Kranken, Huren und Zöllnern hatte der fromme Israelit keinen Kontakt! Doch gerade das zieht sich durch das Leben Jesu: Er macht einfache Menschen zu seinen Jüngern. Er lädt sich bei dem Zöllner Zachäus ein (Heute ist diesem Haus Heil widerfahren!"). Er stößt die Frommen vor den Kopf (Sie werden das Gleichnis von Pharisäer und Zöllner nie vergessen haben!) Er wirbt nicht um die Gunst des Pilatus (Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich los zu geben, und Macht, dich zu kreuzigen!?). Unter seinem Kreuz steht neben Maria und Johannes auch die frühere Sünderin Maria Magdalena ("Arme habt ihr alle Zeit bei euch... Sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis!").
-Das Gleichnis. Im 15. Kapitel des Lukas-Evangeliums stehen die Gleichnisse vom Verlorenen: der verlorene Sohn, der verlorene Groschen und unser Gleichnis: das vom verlorenen Schaf. Wer von euch, der 100 Schafe hat, sucht nicht das Eine, das Verlorene? 100 Schafe sind eine stattliche Herde! Auf das eine Schaf könnte der Besitzer glatt verzichten. Ist es nicht sogar riskant, die 99 in der Wüste zu lassen und das Eine zu suchen!?
Doch Jesus geht dem Einen nach, bis er es hat, legt es sich auf die Schulter und trägt das erschöpfte Tier zur Herde zurück. Danach zieht er mit seiner Herde in das schützende Dorf, ruft seine Freunde zusammen und fordert sie auf, sich mit ihm zu freuen: Freut euch mit mir, denn... Gibt es das noch, dass Nachbarn sich miteinander freuen? Über ein Unglück, das vorüber ging; über einen Unfall, der glimpflich ausgegangen ist; über ein großes Glück, das dem Nachbarn widerfuhr? Ich hoffe doch sehr! Das Gleichnis setzt voraus, dass alle Angesprochenen sich so verhalten , wie der Besitzer der 100 Schafe, und es wendet das Bild vom Schafhirten auf Gott selbst, den große Hirten aller Schafe, von dem es in Psalm 23 heißt: "Der Herr ist mein Hirte; mir wird nicht mangeln!" Und das Gleichnis spricht von der Freude im Himmel über den Einen, der Buße tut.
-Die Sache mit der Buße. Im Gleichnis von Pharisäer und Zöllner wird deutlich ausgesprochen, was unter Buße zu verstehen ist. "Und der Zöllner stand von ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: "Gott, sei mir Sünder gnädig!" Früher gehörte Luthers Sündenbekenntnis zu
jedem Abendmahl ("Ich armer, elender, sündiger Mensch bekennen dir alle meine Sünde und Missetat, die ich begangen habe in Gedanken, Worten und Werken...") Heute ist man schon froh, wenn überhaupt beim
Abendmahl von Schuld und Vergebung gesprochen wird. Das hängt damit zusammen, dass Schuld nicht gern zugegeben wird. Schon in der Geschichte vom Sündenfall ist das so: Adam schiebt die Schuld auf Eva; Eva schiebt die Schuld auf die Schlange. Die Schlange schweigt. Adam und Eva sind sich darin einig: keine Schuld-Erkenntnis und kein Schuld-Bekenntnis. Zitat Margarete Mitscherlich, Von der Radikalität des Alters: "Nach dem Krieg haben viele Menschen in Deutschland behauptet, sie hätten von den Verbrechen gegen die Menschlichkeit... nichts gewusst. Ich halte das für Unsinn. Spätestens seit dem Sommer 1941, nachdem der Krieg gegen Rußland begonnen hatte, und die Massenerschießungen in den besetzten Gebieten stattfanden,
wurde uns immer wieder davon berichtet. Ständig kamen Soldaten von der Front nach Hause und haben von den Gräueltaten erzählt." Und wenn man die Gesprächsprotokolle deutscher Kriegsgefangener liest, die der
englische Geheimdienst abgehört hat..., da sträuben sich einem die Haare! Da schämt man sich, zu dieser Nation zu gehören, die einen Krieg angezettelt hat, an dessen Ende 60 Millionen Tote standen, viele Millionen
Vertriebene, riesige Landverluste, zerstörte Städte und sehr große Summen an Reparationen... Die Kulturschicht des Menschen ist dünn. Und wir werden hinzufügen müssen, dass wohl auch wir der Faszination des 3.Reiches erlegen wären und uns kaum anders verhalten hätten als unsere Väter und Mütter.
Immerhin gab es Einzelne, die sich widersetzt haben: Dietrich Bonhoeffer, Paul Schneider, Graf Staufenberg, die Geschwister Scholl, Bischof Galen u.a. Immerhin gab es die Stuttgarter Schulderklärung vom Oktober 1945 mit
dem berühmten Satz: "Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben." (Erstunterzeichner: Theophil Wurm, Euer Landesbischof, und Mitunterzeichner: Gustav Heinemann, der spätere Bundespräsident.) Im Zusammenhang mit dem 2.Weltkrieg, schreibt mein Freund Olaf, seien ca. 2.000 evangelische Pfarrer gefallen bzw. gestorben. Etwa 20 davon seien im Widerstand gegen das 3.Reich umgekommen, ein Prozent! Das wirft ein eindeutiges Licht auf das Verhältnis
der Evangelischen zum 3.Reich und relativiert die Bedeutung der sogenannten "Bekennenden Kirche" für die Gesamtheit der Ev. Kirche in Deutschland enorm!
-Im Himmel wird Freude sein über jeden Sünder, der Buße tut. An der Buße hängt alles. Am Bekenntnis der Schuld. An der contritio cordis (der Zerknirschung des Herzens), der echten, tiefen Reue: "Herr, gehe vor mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch!" Wir Menschen können nur Sünder sein. Auch die Heiligen waren Sünder, auch wenn zwischen ihnen und den Menschen, die eine Mordslust beim Morden empfinden, Welten liegen! Und selbst Jesus von Nazareth war nicht ohne Sünde, wenn wir sein Menschsein ernst nehmen: "... geboren von einem Weibe und unter das Gesetz getan", wie Paulus schreibt. Gelegentlich blitzt das in den Evangelien auf, wenn davon berichtet wird, dass Jesus mit seinen Jüngern die Tische der Händler umstößt. Oder dass ihn der Zorn packt über die Scheinheiligkeit der Pharisäer, als er im Begriff ist am Sabbat die verdorrte Hand eines Menschen zu heilen.
Echte Buße bewirkt himmlische Freude. Von dieser geht manches Mal etwas auf uns Erdgebundene über.
Denn Gott hat seine großes JA über uns gesprochen, das uns in der Taufe zugesagt ist. Damit dürfen wir
rechnen. Das ist der Grund unserer Lebensfreude, auch wenn wir schuldig werden. Doch auch mit Sünde und Schuld wird es einmal sein Bewenden haben. Besondere Menschen dürfen schon zu Lebzeiten in den Himmel schauen. Der Johannes der Offenbarung war so einer, und er schreibt: "Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde... Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, Geschrei und Schmerz. Denn das Erste ist vergangen!"
Auferstehung (Andreas Knapp, 2005)
Ich glaube nicht
dass meine seele wandern muss
durch wechselnde gestalten;
kein abarbeiten der altlasten
und kein abtragen fossiler schuldenberge
bis der kontostand
endlich bei null ist
und aufgelöst ich werde
ins nichtige nirwana
auf ewig anonym
vielmehr aber hoffe ich
dass mein leib einst auferstehen wird
und ich noch einmal wandern darf
trotz aller schuld und wunden
du hast die offenen rechnungen
schon längst für mich beglichen
der ganze kosmos ist begnadigt
und eingelöst wird meine sehnsucht
dass du mich mit namen rufst
und ich für immer bei dir bin
Amen.
(Nachwort: Ich hatte als Partnerpfarrer aus dem Osten in diesem Gottesdienst mit Taufe
nur die Predigt zu halten. Liturgie, Lesungen, Taufe, Gebete etc. hielt der Ortspfarrer.
Beim Ausgang höre ich die Stimme der Oma des Täuflings zu meinem Freund M. sagen:
"Da hat uns ihr Freund die schöne Taufe ganz schön versaut!" Der sagt etwas Begütigendes.
Seine Antwort verstand ich nicht wirklich. Ich hatte ja selbst zu verabschieden, und diese
und jene Worte wurden dabei gesprochen. Doch ging mir der Satz noch nach. Was hatte ich
falsch gemacht? Womit hatte ich die alte Dame verletzt. Die Gräueltaten des Krieges auf
beiden Seiten sind nicht zu leugnen, das Schuldbekenntnis auch nicht. Ich vermute, dass
meine (Margarete Mitscherlichs) Äußerungen zur Wehrmacht der alten Dame aufgestoßen
sind. Mir tat das sehr leid. Vor allem meines Freundes wegen!)
Autor:Martin Steiger |
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