40 Jahre Kirchenasyl
"Na gut, dann kommt mal rein!"

Kirchen öffnen ihre Türen für geflüchtete Menschen. | Foto: kna-bild/Markus Linn
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"Na gut, dann kommt mal rein" - mit diesen Worten begann an einem Herbstabend 1983 in Berlin-Kreuzberg das erste Kirchenasyl. Spontan nahm Jürgen Quandt, damals Pfarrer der evangelischen Heilig-Kreuz-Gemeinde, eine von Abschiebung bedrohte palästinensische Familie mit fünf Kindern auf, die plötzlich vor der Pfarrhaustür stand. "Und dann waren die drin. Und das war das erste Kirchenasyl. Ohne dass ich die geringste Vorstellung davon hatte, was daraus werden könnte."

Von Karin Wollschläger (KNA)

Daraus geworden ist eine deutschlandweite Initiative, vernetzt als Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche". Die Bewegung ist offenbar nötiger denn je: Aktuell, Stand August, verzeichnet sie 431 aktive Kirchenasyle mit mindestens 655 Personen, darunter 136 Kinder. An diesem Mittwoch und Donnerstag begeht "Asyl in der Kirche" sein 40-jähriges Bestehen mit einer Tagung in der Heilig-Kreuz-Kirche.

Quandt wird oftmals als "Urvater des Kirchenasyls" bezeichnet. Ein Titel, den er persönlich "doof" findet, wie 79-Jährige sagte. "Dass sich die Kirchenasyl-Bewegung als solche zu einer wichtigen humanitären Aktionsform in den Kirchen entwickelt hat, dazu bedurfte es einer Entwicklung, die von vielen getragen wurde. Da bin ich nur einer vielen."

Diese vielen bekommen nun zum Jubiläum etwas mehr Sichtbarkeit durch ein Kooperations-Projekt mit der Freien Universität Berlin. Unter Leitung des Historikers Cord Pagenstecher und der Philosophin Veronika Zablotsky entstanden 2022/23 elf biografische Interviews mit engagierten Aktiven in Kirchenasyl-Initiativen, Gemeinden und Kirchenleitungen sowie mit Geflüchteten. "Wir haben die Interviews nach der oral-history-Methode geführt. Das bedeutet ohne Fragenkatalog werden die Zeitzeugen aufgefordert, Teile ihrer Lebensgeschichte aus ihrer Sichtweise zu erzählen", erläutert Pagenstecher.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessiert unter anderem, was die biografischen Beweggründe sind, dass sich Menschen für Kirchenasyl engagieren, aber auch, was aus den Geflüchteten von damals nach dem Kirchenasyl wurde. "Mich interessiert die Frage von Gerechtigkeit", erklärt Zablotsky. "Welche solidarischen Praktiken etwa gehen ein in die Kirchenasyl-Bewegung und Praxis."

Weitere Interviews sollen folgen und werden in das Interviewportal "Oral-History.Digital" eingespeist und damit nachhaltig für die Wissenschaft dokumentiert. Zudem hat die Universität eine eigene Website zum Projekt online gestellt, in der Ausschnitte der meist Video-Interviews abrufbar sind. Außerdem ist eine Wanderausstellung mit neun Porträts von Interviewten entstanden, die bei der Jubiläums-Tagung erstmalig gezeigt wird.

Da ist zum Beispiel Ibrahim Hammoudeh, der damals mit Frau und Kindern als Erster vor Pfarrer Quandts Haustüre stand. Die palästinensische Familie lebte und arbeitete da schon neun Jahre in Berlin: "1983 kam auf einmal ein Brief von der Polizei, wegen meiner Frau: Abschiebung", erzählt der heute 80-Jährige. Zwei Wochen habe die Kirchengemeinde sie versteckt. Schließlich habe es eine Altfallregelung für Asylanten gegeben, und sie konnten bleiben, bekamen später auch die deutsche Staatsangehörigkeit. "Und jetzt lebe ich in Freiheit mit meiner Familie hier. Ohne Probleme. Habe fast 18 Jahre durchgearbeitet in Deutschland. Ich bin jetzt Rentner. Und bin ich jetzt hier zu Hause."

Hanneke Garrer-Kaiser kam 1968 als Sozialpädagogin aus Holland nach Berlin und arbeitete zunächst bei der Niederländischen Ökumenischen Gemeinde. Sie erzählt, wie sie 1983 mit einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten anfing, Asyl-Beratung anzubieten. "Dann haben wir beschlossen, das ein bisschen mehr zu institutionalisieren. Wir haben von der Kirchengemeinde zwei Räume zur Verfügung bekommen, und Elisabeth Reese bekam eine Arbeitsstelle als Beraterin für Schutzsuchende. Das war der Anfang vom Verein 'Asyl in der Kirche'."

Aber auch Akteure aus der Gegenwart kommen zu Wort. Florance Hamdard floh 2016 mit ihrem Bruder aus Afghanistan nach Deutschland, wo die Muslima Aufnahme im Kirchenasyl fand. "Ich hatte ein paar Freundinnen aus Afghanistan. Sie dachten, wenn man im Kirchenasyl ist, heißt das, man ist Christin geworden", erzählt sie im Interview. "Ich habe gesagt: Sie unterstützen mich, damit ich Aufenthalt kriege. Es geht nicht darum, dass sie missionieren, das ist nicht so." Inzwischen engagiert sich die junge Frau selbst bei "Asyl in der Kirche" und hilft Geflüchteten: "Ich habe die Erfahrung, verstehe die Leute, die im Kirchenasyl sind. Ich ermutige sie."

Autor:

Katja Schmidtke

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