Ich werde erfahren, dass mein Erlöser lebt
OSKA BRÜSEWITZ ZUM GEDÄCHTNIS

Meine Konfirmanden kannten nicht einmal seinen Namen. Aber wir sollten sie auch? Lagen sie doch, als
Brüsewitz starb, noch in den Windeln oder waren nicht weit davon entfernt. Und ein paar Jahre später sprach kaum noch einer von ihm, auch wenn sein Name für die Damen und Herren der Abteilungen Inneres immer ein Reizwort blieb, und das Brüsewitz-Zentrum in Bad Oeynhausen als "Dokumentations- und Informationszen-
trum" manchem noch heute ein Dorn im Auge ist.

Am 22. August 1976 ist Brüsewitz auf der ITS des Bezirks-Krankenhauses Halle-Döhlau an den Folgen der Ver-brennungen verstorben, die er sich vier Tage zuvor selbst zugefügt hatte. Die Tat war vorbereitet und ist unter
Schmerzen in ihm herangereift. Letzte Stunden mit der Familie. Rosen aus den Garten im ganzen Haus verteilt.
"So nimm denn meine Hände", sein Lieblingschoral, von Tochter Esther gespielt. Abschiedsbriefe an seine Frau und den Pfarrkonvent. Dann packt er Transparente in seinen Trabant, zieht sich den Talar über, fährt in die nahe Kreisstadt Zeitz, parkt auf dem Platz vor der Michaeliskirche, baut seine Transparente auf, übergießt sich mit Benzin aus einem 20-Liter-Kanister und zündet sich an. Wer sah ihn brennen, hörte ihn schreien unter dem Klang der Glocken von St. Michael, die gerade für eine Beerdigung geläutet wurden? Als brennende Fackel läuft Brüsewitz in Richtung Superintendentur. Ein Bus kommt vorbei, der Fahrer hält an, springt heraus, reißt den Brennenden zu Boden und löscht die Flammen mit einer Decke. Passanten und Schaulustige. Sehr schnell auch Polizei. Schließlich medizinische Hilfe und Abtransport des Schwerverletzten.

Die Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz  hat mich damals sehr bewegt und lässt mich auch heute nicht kalt. Fragen drängen sich auf. Wer war dieser Mann? Warum hat er das getan? Was hat er damit bewegen, - wofür ein Zeichen setzen wollen???
Brüsewitz war Jahrgang 1929. Sein Lebenslauf ist vielseitig. In Wilkischken, im Memelgebiet, geboren, wuchs er in einer kinderreichen, evangelischen Familie auf, wurde getauft und konfirmiert, begann eine kaufmännische Lehre, floh vor der Roten Armee nach Mitteldeutschland, war zum Arbeitsdienst in Roßleben, Kreis Artern, kam mit 16 Jahren in amerikanische Gefangenschaft, wurde zur Mutter nach Burgstädt in Sachsen entlassen, wo er eine Schuhmacherlehre beginnt, die er in Melle/Westfalen abschließt, wohin die Familie übergesiedelt war. Mit 22 Jahre ist er der jüngste Meister seines Fachs in Niedersachsen. 

Seine 1. Ehe, 1951 geschlossen, scheitert bald. Nach eigener Einschätzung an jugendlicher Unreife. Das ist  wie
ein Schnitt in seinem Leben. Die weiteren Stationen sind Weißenfels, Leipzig und Weißensee in Thüringen. Er lernt Menschen kennen, die ihm als Christen in schwerer Zeit beistehen. Darunter die OP-Schwester Christa Roland aus Berlin, die er 1955 in Leipzig heiratet, die ihm fortan treu zur Seite steht und ihm zwei Kinder schenkt, Esther und Dorothea. Auch in Weißensee verdient er sein Brot mit der Schuhmacherei. Darüber hinaus ist er in der Kirchgemeinde aktiv, entdecket seine Begabung für missionarische Veranstaltungen und leidet an der Lauheit vieler Mitchristen. Mit 36 Jahren beginnt er eine Ausbildung an der Ev. Predigerschule Erfurt, die ihm sauer wird, die er aber mit der ihm eigenen Zähigkeit 1969 mit dem Prädikat "Genügend" abschließt. Danach ist er Hilfspfarrer im Kirchspiel Droßdorf-Rippicha im Kirchenkreis Zeitz. Die Pfarrstelle hatte sein Vorgänger entmutigt verlassen. Als Mann der Praxis setzt er sich voll ein und gewinnt schnell die Achtung seiner Gemeinden.  Von akademischer Theologie hält er nicht viel. Ebenso wenig von Liturgie und Pfarramtsführung. Seine Gottesdienste sind unkonventionell und freundlich, anschaulich und persönlich. Brüsewitz ist immer für eine Überraschung gut. Auch Kinder und Jugendliche, Schafe und Hasen kommen zum Einsatz. Neue Lieder und Kanons werden gesungen. Seine Stärken liegen im Gespräch und in der Begegnung. Er hat große Anziehungskraft auf Jugendlich und junge Erwachsene. Er liebt Plakatives, markante Sätze und Demonstratives. Als die Kinder seiner Dörfer die Einweihung einer neuen Schule mit einem Umzug feiern und Plakate tragen mit der Aufschrift "25 Jahre DDR", da stellt sich Brüsewitz an die Straße mit einem Plakat, auf dem "2000 Jahre Kirche Jesu Christi" steht. Das schafft nicht nur Freunde. Ganz besonders ärgern sich die Behörden über das große Kreuz aus Neonröhren, das Brüsewitz auf dem Turm der Kirche installiert hat und Tag und Nacht leuchtet. Die Lage spitzt sich zu. Brüsewitz leidet an der Trägheit der Gemeinden, der Resigna-tion mancher Kollegen und der Angepasstheit der Kirchen. Die staatlichen Stellen fordern seine Versetzung, die kirchlichen Mäßigung. Eines Tages brennt seine Scheune, in der Heu und Stroh für seine Tiere gelagert sind. 
Brüsewitz ist beunruhigt, weil er Brandstiftung vermutet. Von kirchlicher Seite wird eine Visitation seiner Ge-meinden angesetzt. Er fühlt sich eingekesselt und allein gelassen. So ist seine Selbstverbrennung am 18.08. 1976 wie ein letztes Signal, - ein Hilferuf im Stile eines alttestamentlichen Propheten. "Verderbt die Jugend 
nicht!" soll auf einem der Plakate gestanden haben.

Dass sich die Behörden der DDR betroffen fühlten, beweist der Kommentar des Neuen Deutschlands  vom  31.08.1976, dessen bösartige Verleumdungen hier nicht wiederholt werden sollen. Aber auch die Kirchen und Christen  der DDR mussten betroffen sein, galt es doch neu nachzudenken über Zeugnis und Anpassung, Wi-derstand,  Ergebung und Christsein in einem Staat, der den Unglauben (Atheismus) zu seiner Religion erhoben hatte. Oskar Brüsewitz wusste sich ganz als Zeuge seines Herrn. Sein Abschiedsbrief an den Konvent schließt mit den Worten: Ich wenigen Stunden will ich erfahren, soll ich erfahren, dass mein Erlöser lebt!

Autor:

Martin Steiger

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