Luther hat die Wörter zum Tanzen gebracht – und tut es noch heute

Goldene Regeln fürs Schreiben: Vom Reformator lernen, verständlich zu sprechen

Martin Luther hat unsere Sprache geprägt, neue Wörter und Wendungen erdacht, Bilder in Worte übertragen und gleichzeitig die Regeln gesetzt für einen Stil, der verständlich sein soll und attraktiv.
Leider hat er keine Stil-Lehre verfasst, aber aus seinen Schriften, Briefen und Tischgesprächen hat Paul-Josef Raue die goldenen Regeln gefiltert, die heute gelten wie vor fünfhundert Jahren. In seinem »Sendbrief vom Dolmetschen« führt er uns in seine Sprach-Werkstatt und verfasst 44 Wörter, die sich jeder, der attraktiv schreiben und reden will, über den Schreibtisch hängen sollte: »Man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.« Es reicht allerdings nicht, den Leuten aufs Maul zu schauen und zu wiederholen, wie die Menschen reden; man braucht schon, wie Luther schreibt, »Kunst, Fleiß, Vernunft, Verstand zum guten Dolmetschen«. Und man sollte, auch das ist Luthers Rat, den Leuten nicht nach dem Mund reden.
Wir können in diesem kleinen Taschenbuch von Luther lernen, wie wir attraktiv und verständlich schreiben, auch wenn wir keine Christen sind, wenn wir seine Theologie und sein Menschenbild nicht teilen. Dabei kommt auch die Unterhaltung nicht zu kurz. Hier werden, ganz im Lutherschen Sinne, Geschichten erzählt, Wörter gefeiert, hier wird getanzt und gesungen. Also beste Unterhaltung, kurze Wörter und kurzweilige Geschichten, zum Beispiel die folgende:

»Luther twittert« – Der mächtigste Mann twittert unentwegt: US-Präsident Donald Trump verschickt regelmäßig 140 Zeichen und erschreckt nicht selten die ganze Welt. »Unsinniger, wütender Tyrann, der sich voll Teufel gefressen und gesoffen hat und stinkt wie ein Teufelsdreck.«
Diesen Tweet, wie die Kurznachricht genannt wird, könnte Trump geschrieben haben, aber er ist schon ein halbes Jahrtausend alt – und stammt von Martin Luther. Der hat kein Smartphone und keinen Computer, aber er bedient sich ebenso souverän eines neuen Mediums: Des Buchdrucks. Er lässt seine Pamphlete gegen Papst und Mächtige drucken und zigtausendfach unters Volk bringen. Luther erkennt schnell die Vorzüge des Mediums und spricht abends bei Tisch: »Die hohen Wohltaten der Buchdruckerei sind mit Worten nicht auszusprechen.« Er wird ein Meister der kurzen Nachricht, vor allem der knappen schmerzhaften Pöbelei. Man lese nur seine Schrift gegen den Herzog aus Braunschweig: »Wider Hans Wurst«. Was ist eine Predigt vor ein paar hundert Zuhörern in der Wittenberger Schlosskirche gegen seine Bibelübersetzung, die eine halbe Million Menschen kauft und weit mehr als eine Million liest – schon zu Lebzeiten?
Die Technik der guten Predigt hilft ihm, auch erfolgreiche Bücher zu schreiben: Deutsch muss er schreiben – und vor allem kurze Sätze, die im Gedächtnis haften. Luther übersetzte die Bibel so, dass man ihre markanten Passagen in 3 000 Tweets packen und versenden kann – etwa: #Selig sind, die da hungert und dürstet nach der
Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden (90 Zeichen); #Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch an (78 Zeichen); #Ein jegliches hat seine Zeit: Lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit (120 Zeichen); #Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen
(130 Zeichen).


Paul-Josef Raue: Luthers Stil-Lehre. 50 Kolumnen für Journalisten, Pressesprecher,
Politiker und alle, die attraktiv schreiben wollen. 96 S., Klartext-Verlag, ISBN 978-3-8375-1898-6, 9,95 Euro

Bezug über den Buchhandel oder den Bestellservice Ihrer Kirchen­zeitung: Telefon (0 36 43) 24 61 61

Autor:

Adrienne Uebbing

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