30 Jahre Deserteurdenkmal Erfurt
Regionalbischöfin ruft zu Gewaltfreiheit auf

- Das Deserteur-DenkMal Erfurt
- Foto: Steffen Raßloff
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Anlässlich des Jubiläums 30 Jahre DenkMal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur in Erfurt organisiert die Offene Arbeit des evangelischen Kirchenkreises Erfurt am morgigen Donnerstag (28. August) ein Ökumenisches Friedensgebet mit Dr. Friederike F. Spengler, Regionalbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), und Generalvikar Dominik Trost vom Bistum Erfurt. Beginn ist 17 Uhr in der Lorenzkirche am Anger in Erfurt. Auch die anderen Veranstaltungen zu dem Jubiläum werden von evangelischen Christen mit vorbereitet. So folgen am 1. September eine Gedenkveranstaltung an dem DenkMal auf dem Petersberg sowie eine Filmvorführung zum Thema bei der Offenen Arbeit. Mit den Veranstaltungen wollen die Organisatoren die Erinnerung an den Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Deutschlands wachhalten, aktuelle Fragen um Krieg und Frieden thematisieren sowie die Bedeutung des DenkMals als Mahnmal gegen Krieg und für Menschenrechte unterstreichen.
Für Friederike F. Spengler ist das Jubiläum Anlass für klare Aussagen zur heutigen Zeit: „Aufgabe der Kirchen ist es nicht, militärische Konflikte religiös aufzuladen, sie theologisch zu legitimieren und so die Kriegstreiber zu unterstützen. Sondern wir sollen die Sehnsucht nach dem gerechten Frieden wachhalten. Wir sollen und können zur Gewissensbildung beitragen und besonders die unterstützen, die nach Wegen der Gewaltfreiheit suchen. Nicht, weil wir besser sind, sondern, weil wir besser dran sind, in dem wir allen Grund haben, dem zu vertrauen, der letztgültig den Tod überwundern hat. Gewaltlos. Und deshalb glaube ich an die Kraft der Gewaltlosigkeit und bin dankbar für jeden Menschen damals und heute, der seine Waffe niederlegt“.
Sie verweist auf einen großen Teil der biblischen Tradition, wonach ein Held sei, wer im Krieg kämpft und tötet; wer flieht oder desertiert, gelte als Feigling. „Diese Überzeugung hat sich fortgesetzt in der Kriegsbegeisterung vieler Theologen, Bischöfe, Christenmenschen im ersten und zweiten Weltkrieg. Es wurde viel zu lange kein Wert darin gesehen, das eigene Mittun an Gewalttaten zu verweigern. Das sage ich heute mit Beschämung: Die meiste Zeit sind wir als Kirche nicht auf der Seite von Deserteuren gewesen“, so Spengler.
Bis 1945 seien auf dem Petersberg im Schatten mehrerer Kirchengebäude Urteile gegen Deserteure verhängt worden, laut wissenschaftlichen Schätzungen seien es mehr als 20.000 Ermordungen gewesen. „Viele blieben unbekannt, sie wurden totgeschwiegen. Die alten Wehrmachtsurteile blieben bis 2002 in Kraft, Hinterbliebene erhielten keinerlei Entschädigung, und die wenigen überlebenden Deserteure wurden weiterhin als Feiglinge denunziert. Erst 2008 beschloss der Bundestag eine generelle Rehabilitierung, für viele zu spät“, resümiert die Regionalbischöfin.
Ihre Predigt zum Thema ist in die traditionellen Friedensgebete in der Lorenzkirche eingebunden. Sie wurden 1978 von Erfurter Christen als Antwort auf die Einführung des Wehrkunde-Unterrichts an den staatlichen Schulen durch die DDR-Bildungsministerin Margot Honecker aufgenommen, um gegen die vom Staat verordnete, schleichende Militarisierung der Jugend zu protestieren. Sie finden seitdem an jedem Donnerstag in der Lorenzkirche statt und sind damit die ältesten Friedensgebete im ostdeutschen Raum.
Am 1. September, dem Antikriegstag, beginnt um 18 Uhr auf dem Petersberg Erfurt eine Gedenkveranstaltung „80 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus in Europa – 30 Jahre DenkMal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur in Erfurt“ statt. Ziel ist es, den Opfern des NS-Militärunrechts zu gedenken, an die gesellschaftliche Debatte vor 30 Jahren zu erinnern und Fragen nach der Bedeutung des DenkMals heute zu stellen. Zu den Mitwirkenden gehören Martin Rambow (Pfarrer i. R.) und Niklas Wagner (Bildungswerk im Bistum Erfurt e.V.) sowie Julika Bürgin (Professorin an der Hochschule Darmstadt). Um 19.30 Uhr folgt die Vorführung des DEFA-Films „Ich war neunzehn“ mit anschließender Diskussion (Offene Arbeit Erfurt).
Am 17. November wird im Evangelischen Augustinerkloster Erfurt der Film „Die Liebe zum Leben“ über den Wehrmachts-Deserteur Ludwig Baumann in Anwesenheit der Regisseurin Annette Ortlieb gezeigt.
Hintergrund:
Nach einer heftigen und bundesweit geführten Debatte wurde am 1. September 1995 am Fuß des Erfurter Petersberges das vom den Künstler Thomas Nicolai gestaltete „DenkMal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur“ eingeweiht. Es wird seitdem sehr unterschiedlich wahrgenommen. Einerseits finden dort am 1. September Kranzniederlegungen statt, das Denkmal wird in Stadtrundgänge zur NS-Geschichte eingebunden und das Thüringer Justizministerium hat es 2013 in die „Thüringer Straße der Menschenrechte und Demokratie“ aufgenommen. Andererseits spielte es bei der Umgestaltung des Peterbergs anlässlich der Bundesgartenschau 2021 keine Rolle und vielen Menschen in Erfurt ist es kein Begriff.
Das DenkMal zeigt acht aufrechte Stelen, sieben davon in einheitlicher Form, starr und kantig, geschliffen – so wie das Militär Menschen erziehen kann. Eine Stele lässt eine Figur erkennen, die heraussticht und zugleich so wirkt, als wolle sie sich wegducken. Die Widmung des DenkMals lautet: „Dem unbekannten Wehrmachtsdeserteur – Den Opfern der NS-Militärjustiz – Allen die sich dem Naziregime verweigerten“. Der Künstler Thomas Nicolai sagte dazu: „Ich will den Deserteur nicht zum Helden machen und die Soldaten, die dabeigeblieben sind, [nicht] zu Verlierern.“
Weitere Informationen im Internet:
https://deserteursdenkmal-erfurt.de
https://offenearbeiterfurt.de/30-jahre-denkmal-fuer-den-unbekannten-wehrmachtsdeserteur-in-erfurt/
Autor:susanne sobko |
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